Lauenburgische Heimat
[Alte Folge]

Zeitschrift des Heimatbundes Herzogtum Lauenburg e. V.
1928



Ein fast vergessener Dichter unseres Lauenburger Landes (Heinrich Burmester)

Von Sem.-Oberlehrer i. e. R. HEINR. LANGHANS, Ratzeburg.

II.

Das Verständnis der weiteren Schriftwerke Heinr. Burmesters hat die Bekanntschaft mit seinen weiteren Lebensschicksalen zur Voraussetzung.

Anfang der siebziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts war Burmester, wie S. 80 bereits erwähnt, nach Hamburg gegangen, "wo ihm jetzt zum ersten Male die Sonne des Glücks zu lächeln schien: er wurde Korrektor an dem Altonaer "Merkur" und sollte schon in die Redaktion eintreten, als plötzlich diese altberühmte norddeutsche Zeitung bankerott machte. Trübe Zeiten voll bitterer Erfahrungen und schwerer Entsagungen folgten". (Dr. Gaedertz) Dazu kam noch, daß seine Verleger ihn um die Erträge seiner während dieser Hamburger Zeit herausgegebenen Versdichtungen "Arm un Rik" (1872), "Schaulmester Klein" (1873) und "Ohmwetter" (1877). brachten. Bitter klagend bricht er aus in die Worte:

"Denn was er auch versucht hat zu gestalten,
Stets wurde der Erfolg ihm vorenthalten."
("Das verkommene Genie" S. 12.)

Unter diesen traurigen und unsicheren Lebensverhältnissen hatte sich Burmester, der seinen Unterhalt notdürftig dnrch Privatunterricht erwarb und sich in seinen schriststellerischen Arbeiten geradezu lahmgelegt sah, schon längere Zeit um eine Anstellung im Volksschuldienst bemüht. Endlich gelang es ihm, eine solche an der einklassigen Schule im Dorfe Fitzen bei Büchen zu erlangen, und am 4. März 1879, also in seinem 40. Lebensjahr, zog er mit einer Haushälterin dort ein. Nur eine kurze Zeit lang erging es ihm aber erträglich in dieser neuen Stellung. Der hochfahrende Sinn des Dichters und sein unfriedfertiges rechthaberisches Wesen, andererseits aber auch allerhand

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Ränke, als deren Urheber Burmester den damaligen Gemeindevorsteher Plumm Hinnik bezeichnet und geißelt, führten bald unhaltbare Zustände herauf. Burmester wurde von seinen Widersachern gröblich insultiert; man sang ihm zur Nachtzeit unflätige Lieder, warf ihm eine tote Katze in seinen Brunnen und suchte auf alle nur erdenkliche Weise ihm Ärger, auch wirtschaftlichen Schaden zu bereiten. Des Lehrers Beschwerden bei seinen vorgesetzten Behörden fruchteten nichts, riefen vielmehr die Widersacher mit ihren Anklagen auf den Plan, und das Ende vom Liede war die Dienstentlassung Burmesters, der überhaupt nur provisorisch angestellt war. Am 1. Januar 1882 verließ er Fitzen und siedelte nach Lauenburg (Elbe) über, wo er, ein zweiter Hans Sachs, seinen Lebensunterhalt durch Anfertigung von Filzpantoffeln und gelegentliche schriftstellerische Arbeiten erwarb. Und wie Hans Sachs in der "Summa aller meiner Gedichte" uns einen kurzen Bericht über sein ganzes Leben und Dichten gegeben hat, so hat auch Heinrich Burmester eine Art Selbstbiographie in Versen, und zwar in 64 Stanzen verfaßt unter dem Titel "DAS VERKOMMENE GENIE, ein Spiegelbild" (Lauenburg a. d. Elbe beim Verfasser, 1882). Sie ist die einzige in hochdeutscher Sprache verfaßte Schrift Burmesters. Ein klares, objektives Bild seines Lebens und Schaffens gibt uns dies kleine Epos mit seinen wortreichen, dunklen Wendungen freilich nicht; denn es ist eigentlich nur eine Darstellung aller widrigen Lebensschicksale unsers Dichters bis dahin, wo er "hinterm Gartenzaun" endet und von den Musen darob tief beklagt wird. Den Titel des Heftchens wählte Burmester nach einem Ausspruch des Pastors Rohrdantz aus Lütau, der ihn auf Grund genauerer Bekanntschaft "das verkommene Genie" genannt hatte, welche Bezeichnung zu Burmesters Leidwesen (S. 22) dann allgemein in Aufnahme gekommen war. Das kleine Büchlein mit seinem ergreifenden Inhalt kam 1883 auch dem Berliner Literaten Dr. Karl Theodor Gaedertz, geb. 1855 in Lübeck, in die Hand und wurde Veranlassung, daß dieser sich mit Burmester in Verbindung setzte und so dessen persönlichen Verhältnisse wie auch dessen schriftstellerische Tätigkeit näher kennen lernte. Gaedertz und andere wohldenkende Mitglieder des plattdeutschen Vereins zogen hierauf (1883) Burmester nach Berlin, wo er als Bürogehilfe Beschäftigung fand und sich nebenher als plattdeutscher Schriftsteller betätigen konnte.

Der Berliner Zeit entstammen drei größere Prosawerke, die einzigen des Dichters: "HARTEN LEINA" (1882), "HANS HÖLTIG" (1885) und "NAWERSLÜD" (1886), die seinen Schriftstellernamen in weitere Kreise brachten. Aber auch der Berliner Aufenthalt war durch Burmesters Schuld nicht von langer Dauer. Nachdem der unstäte Dichter dann noch bei seinem Freunde, dem Hofbesitzer Wulf in Brunstorf, dem gewesenen Reichstags-Abgeordneten, dem er bereits 1881 seine "Landstimmen" gewidmet hatte, fiir eine Zeitlang Aufnahme gefunden hatte, ging er wieder nach Lauenburg. Nahrungssorgen und der Schmerz über ein verfehltes Leben scheinen ihn nicht lange darauf in den Tod getrieben zu haben. Am 17. April 1889 wurde seine kaum noch kenntliche Leiche bei Boizenburg auf der städtischen

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Weide, unweit des Weges nach Gothmann, gefunden, nachdem sie bereits über drei Wochen, nämlich seit Burmesters Verschwinden aus Lauenburg in der Nacht vom 23. auf den 24. März, in der Elbe gelegen hatte. Der hartgeprüfte Mann hatte also sein tragisches Ende gewissermaßen vorgeahnt, als er bereits 1882 in dem Schriftchen "Das verkommene Genie" die ergreifenden Worte schrieb: (S. 23)

....... "er war und blieb verschwunden,
dem Wind und Wetter und dem Sturm zum Preis.
Dann hat man eines Tages ihn gefunden -
ob ihm geronnen hat die Träne heiß,
man weiß es nicht - als ihn die Leute trafen,
fand man ihn hinterm Heckenzaun entschlafen."

Wie Fritz Reuter so ist auch Heinrich Burmester erst spät zur Abfassung von größeren Prosaschriften gekommen. Das erste und bekannteste, wenngleich auch nicht literarisch wertvollste Werk dieser Art erschien unter dem Titel: "Harten Leina, ein Speigel vör Land und Lüd", 1884 bei Kogge und Fritze in Berlin. Das in zwei Teilen erschienene Buch, dem Dr. Gaedertz eine Einleitung beigegeben hat, ist vom Verfasser seinen Berliner Freunden gewidmet, deren Freundschaft er auch noch im Schlußkapitel dankbarlichst gedenkt.

Alle Dichtungen Heim. Burmesters sind mehr oder weniger aus eigenem Erleben entsprungen, doch tritt dabei nie seine eigene Persönlichkeit aufdringlich in den Vordergrund. Ganz anders aber in "Harten Leina". Der ganze Roman ist eigentlich nur ein Ausschnitt aus des Dichters Lebensgeschichte, wie sie sich während der Jahre 1879-82 zur Hauptsache in Fitzen (Sandhorst) und Pötrau (Putershagen), also im Umkreise von Bahnhof Büchen (Struck). daneben aber auch in Ratzeburg (Sleebusch), Lauenburg (Hogen Klähn) und Berlin abgespielt hat. Alle Orts- und Personennanien sind trotz ihrer Namensänderung unschwer zu erkennen; nur die Familie des Bauervogts Harten in Putershagen ist offenbar erfunden. Wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß die Lektüre dieses Buches durch diesen stark persönlichen Einschlag auf orts- und personenkundige Leser einen gewissen Reiz ausübt, so ist doch des Dichters Gebaren entschieden zu verwerfen; denn die Poesie darf nicht persönlichen oder gar gehässig-tendenziösen Zwecken dienstbar gemacht werden.

Burmester hat seinen säintlichen Versdichtungen ein fremdsprachliches Motto vorgestellt, seinen Romanen jedoch nicht. Man wäre versucht, wenigstens "Harten Leina" das Wort Ciceros beizugeben: "NOMINA SUNT ODIOSA." *) Wohl hat Burmester einzelne Personen, z. B. den alten Etatsrat und Amtmann Susemihl (Possehl) in seiner originellen Weise und seiner starren Korrektheit vortrefflich charakterisiert; aber er wird andern in dieser Hinsicht nicht gerecht, z. B. dem Konsistorialrat Superintendenten D. Brömel (Dr. Abraham), der gerade in Lehrerkreisen sich großer Beliebtheit erfreute und überdies noch durch eine besondere Stiftung, die Brömelstiftung, geehrt wurde. Ja, bei
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*) Namen sind gehässig, d. h. es ist verpönt, Namen zu nennen, persönlich zu werden.

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vielen Personen, z. B. bei Pastor Fiedler (Michel Bohm) in Pötrau, bei Pastor Burmester (Martini) in Sahms (Kanebs), beim Bauernvogt Möller in Fitzen, selbst bei seinen Kollegen Meyer in Büchen, Kammerhoff und Rumpf in Ratzeburg handelt es sich um schnöde Verunglimpfungen, denn Burmester war in seinem Urteil über Menschen und Verhältnisse zu sehr von seinen persönlichen Empfindungen abhängig. Ihm fehlt die einem Schriftsteller so dringend nötige Objektivität; das Tendenziöse siegt bei ihm über das Poetische.

Der Roman zeigt keine straff ausgebaute Komposition; die einzelnen Geschehnisse stehen zuweilen nur in losem Zusammenhang miteinander. Obgleich keine Person beherrschend im Mittelpunkt steht, ist doch - trotz des anders lautenden Titels - die Hauptperson des Romans der Dichter selbst unter dem Namen Heinrich Schulz, insbesondere während seiner 2 3/4 Jahre umspannenden Unterrichtstätigkeit in Fitzen (Sandhorst) mit allen ihren Irrungen und Wirrungen. Nur in großen Umrissen werden wir im Anfang (S. 58) mit seinem an Entbehrungen und Bitterkeiten so reichen Vorleben vertraut gemacht, u. a. auch mit dem tiefschmerzlichen Ausgang seines von übler Hand zerstörten innigen Liebesglückes. Merkwürdigerweise löst der Dichter im Schlußkapitel seine Person von dem Haupthelden des Romans und läßt diesen hernach in Berlin am gebrochenen Herzen sterben, bei der Trauerkunde, daß die einstige Geliebte bereits seit 11 Jahren im Grabe ruht. Dieses verlorene Liebesglück will der Dichter offenbar in wirksamen Gegensatz bringen zu dem in hartem Kampf gewonnenen Liebesglück der Titelheldin unsers Romans Harten Leina, der lieblichen Tochter des Bauervogts Heinrich Harten in Putershagen und der nunmehrigen glücklichen Ehefran des Bauern Fritz Knickrehm (Pinkvoß), dortselbst. Der Dichter hat den Titel "Harten Leina" zweifelsohne gewählt, weil in unsern Gegenden "Harten Leina" die Bezeichnung für die Herzdame im Kartenspiel ist (Teil II. S. 219); dann aber auch in Tanzreimen im Studentenlied: "Harten Leina, min Deern!" und im Karten- und Orakelspiel in der Bedeutung "Herzallerliebste" gebraucht wird. (Siehe Mensing, Schlesw.-Holst. Wörterbuch. 14. Lieferung, 649 ff.)

Die Darstellung geht in ihren seitlichen Auslageu, den Nebenhandlungen, oft etwas in die Breite; so beschäftigt sich Burmester mit der Persönlichkeit des Pastors Bohm (Kap. 7) allein 17 Seiten lang. Reflexionen sind seltener als in den Versdichtungen und fesseln oft durch ihre Eigenart. Eine Betrachtung und Gegenüberstellung dreier verschiedener Frauentypen (I, 16) z. B. ist ebenso drastisch wie originell und schön erfunden, daß sie hier wiedergegeben sein möge: "Dat gift dreierlei Art von Frugens: de erste Art ist de Swienart, de anne ist de Häuhnerart und de drüdden sünd de Immart. De Swienart sünd de smutzigen, de allerwegens anklewen un anbacken könnt. Bie de is de Rendlichkeit in’ Sünnschien nicht tau seihn un mit de Lücht nicht tau finn’. De Häuhnerart sünd de, de allerwegens. rümklarrt un nicht seihn könnt, dat wat ub’n Hupen liggt. Dann baußelt se so lang dormang rüm, bet se allens utenanner hebbt; so, nu seih tau, worans du’t werre tausam krigst! Dat sünd de, von de dat heit,


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dat ne Fru mehr inne Schört ut de Blangdör rutdregen, as de Mann mit Perd’ un Wagen in de Grothdör rinföhrn kann. De Immart äwers sünd de Flietigen, de allens tauhopen holt un tausammen dregt. Un so ein von dit Slag de weit wieder nix tau daun, as den Mann dat Leben tau verseuten un den Ehestand tau en langen Honnigmand tau maken."

Wie in den Versdichtungen, so treten auch in "Harten Leina", wenn auch nur vereinzelt, einige schöne, gemütvolle Naturschilderungen auf. Da halten gleich im Anfang des Romans die Vögel originelle Zwiesprach miteinander, allen voran der eilige Kiebitz mit dem saumseligen Kuckuck, und der Anfang des zweiten Teils (S. 23) bietet eine
erhaben-feierliche Schilderung des leuchtenden Firmaments. Aber auch einige Darstellungen von Szenen aus dem Menschenleben verdienen besondere Wertung. Der Bericht über das Ableben und das Begräbnis des alten Etatsrats Susemihl (II. 10-16) ist z. B. von ergreifender Wirkung, desgleichen die bange Sorge und Klage der Harten Leina um ihren schwerverletzten Geliebten (II. 18-20); anmutig-heiter ist dagegen der Visitationsbericht (I. 215-222) u. a. -

Ein Jahr später (1885) erschien bei W. Köhler in Minden "HANS HÖLTIG, ’ne Geschichte ut plattdütschen Lann’ von Heinrich Burmester". Dieser Roman, den der Verfasser nebst einem angeschlossenen Gedicht dankbarlichst seinem Freunde und Gönner Gaedertz gewidmet hat, spielt im südlichen Teil Lauenburgs. wie dies manche örtliche und persönliche Andeutungen erkennen lassen (z. B. Pastor Fidelio (Fiedler) in Putersau (Pötrau); Amtsrichter Weiß (Roth) in Kastahn (Lauenburg) u. a.). Im übrigen hält dieser Roman sich aber durchaus frei von persönlichen Verunglimpfungen und steht schon deshalb höher als "Harten Leina". Er behandelt in durchweg recht ansprechender Form das niemals ausgesungene Lied von der Liebe, und zwar deren Erwachen, deren Freud und Leid, ihrer bangen Sorge, ihrem schweren Kampf und endlichen Sieg. Hans Höltig, der Großknecht des Bauern Knaak in Rählstörp, und dessen liebherzige Tochter Anna Knaak sind die Hauptpersonen dieses Romans, denen sich andere markante Personen, z. B. der Heidkätner Wölker, ein Wilderer und Mordbube, der originelle Schneider Wittfaut, der das komische Element verkörpert, der brave Pastor Ramm, der dem Mörder das Geständnis seiner ruchlosen Tat abnimmt, u. a. anreihen. Auch die Handlung ist hier weit straffer gehalten als in "Harten Leina"; nur Kap. 11 u. 12 gehen zu sehr in die Breite und führen zu weit von der Haupthandlung ab. Einen durchaus unfertigen Eindruck hinterläßt Kapitel 6, während andere Teile des Romans wirklich fein herausgearbeitet sind. Das Liebestechtelmechtel zwischen Hans und Anna (S. 7-11), und das Wünsche-Rätselspiel zwischen dem "reitenden" Förster und seiner kecken Gattin (S. 75 -78) andererseits die Entlohnungsszene (S. 44 u. 45) init ihrer herben Tragik sind geradezu Kabinettstücke epischer Darstellung.

Ein dritter und zugleich letzter Roman des Dichters erschien 1886 im Verlage von Wilh. Friedrich Nachf. in Berlin uner dem Titel "NAWERSLÜD, en Roman ut de Geigenwart", den er "allen

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Freunden plattdeutscher Sprache und gesunden Humors" widmet. Als "Nawerslüd" bezeichnet der Dichter (S. 21) selbst die Familien des Bauernvogts Peyn und des Bauern Hümpel in Quadenbek (Witzeeze?). Von jeher hatten diese beiden Landleute treue Nachbarschaft gepflogen; nur die leidigen Wahlen hatten eine arge Entfremdung heraufbeschworen. Glücklicherweise wird diese durch verschiedene günstige Umstände behoben, und an ihre Stelle tritt nach und nach wieder die alte treue nachbarliche Freundschaft, die im Schluß durch eine Doppelhochzeit zwischen den Nachbarskindern unverbrüchlich nnd dauernd gefestigt wird. Die Erzählung selbst mit ihren Nebenhandlungen - auch Erlebnisse des Dichters sind eingeflochten (z. B. S. 91-93) - zieht wie ein breiter Strom dahin und gibt in Einzelheiten manche feine Darstellungen, z. B. S. 40 eine kurze Betrachtung über Jugend und Alter, S. 41-45 eine Schilderung des Bleigießens in der Sylvesternacht. Vorgänge und Machenschaften bei den Wahlversammlungen für den Landtag und vor allem die Liebeswerbungen des weltfremden Kandidaten Hukemeyer bieten mehr heitere Szenen; schwere Tragik dagegen packt uns in der Sterbe- und Begräbnisszene der Bauervögtin Peyn. Wegen der wohlabgewogenen Mischung von Heiterkeit und Ernst, wegen der lebenswarmen Charakteristik und vor allem wegen der behaglichen Stimmung, welche über diesem Roman ausgebreitet liegt, hat man "Nawerslüd" wohl als den besten der drei Romane Burmesters bezeichnet.

Wie in Fehr’s Erzählungen sein Heimatdorf Ilenbek mit seinen uns wohlbekannten Personen immer wiederkehrt, so wurzeln auch Burmesters Dichtungen fest im Heimatboden; auch der Roman "Nawerslüd" hat den Erdgeruch dieses Bodens. Und das ist entschieden gut so. Höchst eigenartig berührt es uns daher, wenn der Dichter sowohl im Anfang wie auch im Schluß über den Schauplatz dieses Romans sagt: "Min Feld un Gebeit liggt im Lande des Dichters.[sic!] im Reiche der Phantasie." Sonderbar, höchst sonderbar! Wollte Burmester sich auf diese Weise vielleicht gegen etwaige persönliche Angriffe sicherstellen? Der "Herr Kommischonsrat Saars tau Kiwitsborg" hätte wohl Anlaß dazu gehabt; denn seine Person ist ziemlich deutlich gekennzeichnet, um nicht zu sagen gebrandmarkt. Auch "Herr von Schneider aus dem Geschlecht derer Schneider zu Bliessow und Lupin" dürfte jedem älteren Lauenburger als Kammerherr von Schrader auf Bliestorf und Kulpin bekannt sein, und Pastor Martinsen aus Kampsdörp und Lehrer Schulz aus Sandhagen erkennen wir leicht aus "Harten Leina". Daß der Kaspelluhner Kreis (mit seinen 31 Predigern!) unser Heimatkreis ist, läßt sich unschwer erraten.

An gleicher Stelle spricht Burmester auch die Befürchtung aus, daß er als Nachtreter Reuters angesehen werden könnte. Burmester hat Reuters Dichtungen, der etwa 20 Jahre vor ihm schrieb, mehrfach zitiert und von ihm auch zweifelsohne manche Anregung erhalten; aber im übrigen hat er sich seinen eigenen Ton durchaus gewahrt; denn
dazu waren ihre Naturen doch gar zu verschieden. Heinrich Burmester, übrigens ein Mann von stattlichem Äußern, besaß unstreitig reiche Gaben, die er bei seinem Ehrgeiz auch unter den schwierigsten Umständen

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aufs beste auszubilden sich angelegen sein ließ. Und so verfügt er auch mit einer gewissen Gewandtheit über alle Farben und Töne der Sprache. Schalkhafte Heiterkeit und zarte Seelenstimmung vermag er in gleicher Weise wiederzugeben wie herben Ernst. Leicht und melodisch ist gewöhnlich der Fluß seiner Verse und Reime; ungezwungen stellen sich schöne Wortpaare, Sinnsprüche und Bilder ein; auch viel seltenes niederdeutsches Sprachgut tritt uns beim Lesen seiner Schriften entgegen. Eine bündige Ausdrucksweise, die uns bei seinem späteren Landsmann Otto Garber so wohl gefällt, lag ihm nicht; auch manche schriftdeutsche Wendungen laufen ihm mit unter. Die niederdeutsche Erzählkunst war damals auch nach ihrer formalen Seite hin noch nicht vollauf zur Entwickelung gekommen. Aber das Volksleben mit seinen Bräuchen kennt Burmester aus dem Grunde; in scharfen Umrissen treten die Gestalten seiner Heimat in Liebe und Haß, in Freud und Leid, bei harter Arbeit und bei frohen Festen vor uns hin. Menschenschicksale will der Dichter geben, nicht nur Schilderungen und Bilder von Land und Leuten seiner Heimat. Dabei weiß er die Stimmungen der Natur wirkungsvoll mit den Gedanken der Menschen und den Ereignissen zu verweben. Und doch ist Burmester von Haus aus kein Lyriker, sondern Epiker und bewegt sich fast ausschließlich auf diesem Gebiet. Wenn er kleine Stücke aus dem Kinder- und Volksleben bringt, z. B. in "Ohmvetter", so sind dies meistens nur Reimsprüche und Anlehnungen an bekannte Volkslieder. Das Kindergedicht, ein altes Sondergebiet des Plattdeutschen, und auch die sogenannten Döntjes fehlen bei Burmester fast ganz; sie entsprachen nicht seinem innersten Fühlen und Denken. Vor allen Dingen fehlt Burmester Reuters sonniger Humor, der auch unter Tränen lächelt und der es fertig bringt, selbst dem Bösewicht noch Tugenden zu leihen und dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Es geht daher auch nicht gut an, Heinrich Burmester Fritz Reuter, den Burmester in "Nawerslüd" (S. 253) seinen "grothen Vorgänger" nennt, irgendwie als gleichbedeutend anreihen zu wollen; denn Burmesters Dichterruhm ist kaum über die engen Grenzen seiner Heimat hinausgekommen, wohingegen in Reuter ganz Deutschland, nicht nur Norddentschland, seinen Dichter erkennt.

Burmester war vorwiegend eine Verstandesnatnr und gehörte nicht zu den glücklichen Menschen, von denen Schillers Gedankenlyrik sagt:

,Wohl denen, die des Wissens Gut
nicht mit dem Herzen zahlen."
   
  (Licht und Wärme Nr. 2.)

Wie bei manchen Menschen, die sich aus den engen Verhältnissen ihrer Jugend zumeist durch eigene Kraft emporgearbeitet haben, so hatte sich auch bei Burmester ein starkes Selbstgefühl, ein gewisser geistiger Hochmut eingestellt, der später leider zum Dünkel und zur Überhebung über andere führte. Schon in seinen jungen Jahren besaß er ein unduldsames Wesen. Einer seiner früheren Klassenkollegen teilt darüber folgendes mit: Zwischen Burmester und seinen Kameraden bestand wegen seines sarkastischen, hochfahrenden Wesens nicht das beste Verhältnis, das mitunter, z. B. zwischen ihm und seinem ebenfalls sehr begabten Kollegen Aßmann aus Mölln, in offene

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Feindschaft ausartete und einmal sogar zu einer netten Keilerei führte, bei der der kleine Aßmann zum Gaudium der Anwesenden den großen Burmester gehörig verprügelte. Der Tiefgekränkte verklagte seinen Gegner bei den Vorgesetzten, worauf dann ein Verhör zustande kam. Am Schluß desselben traf der Direktor Superintendent Brömel die Entscheidung: "Sie, Aßmann, haben sich um die Schulstelle in Niendorf bei Lübeck beworben. Der Patron dieser Stelle hat von mir ein Zeugnis über Sie erbeten. Natürlich kann ich Sie nicht empfehlen. Und Ihnen, Burmester, sage ich nur, daß ich mir die Ehre Ihres Besuches von heute ab verbitte" (Burmester erhielt nämlich bei ihm Freitische). In späteren Jahren bildeten sich Burmesters Charakterfehler namentlich auch infolge widriger Lebensschicksale noch schärfer heraus; er wurde ein verbitterter, unleidlicher Mensch, der seine besten Freunde und Gönner verletzte und deshalb fast einsam im Leben dastand. Ehemaligen Freunden begegnete er mit Mißtrauen, ja mit Feindseligkeit und drohte ihnen dann, sie "festnageln" zu wollen, was er dann nicht selten auch redlich bewerkstelligt hat. Ganz zu Unrecht stimmt Burmester im Eingang zu "Hans Höltig" dic ergreifende Klage an:

"Kein Leiv ded’ wiesen mie den Bahn
un ded’ dörch’t Leben lerden mie,
doch wor se kunn’, se perden mie.
un har nüms wat tau Leden dahn."

Was Goethe über den unglücklichen Dichter Christian Günther ( 1723) sagte: "Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten", das gilt mit vielleicht noch mehr Fug und Recht für Heinrich Burmester. Wohl hat er kein leichtsinniges, ausschweifendes Leben geführt; seine Dichtungen halten sich auch frei von Leichtfertigkeit und Frivolität in Ausdruck und Handlung; aber er konnte die Leidenschaftlichkeit seines Charakters nicht zügeln. Auch sah er immer in sich das große Genie, das sich "zu höheren Sphären erheben, zu hehren Bahnen und zu höherem Lauf beflügeln" müsse (Landstimmen, S. 128) und war sehr darauf bedacht, diesem auch nach außen hin gebührend Ausdruck zu geben. Daß er seine Schriften, die doch nicht für die sogenannten gebildeten Kreise berechnet sind, vielfach unnötiger Weise und gewiß nicht zu ihrem Vorteil mit fremdsprachlichen Ausdrücken und Zitaten ausstaffiert hat, ist wohl nicht mit Unrecht als Ausfluß persönlicher Eitelkeit hingestellt worden. Und sollte es etwa ein Versehen, ein ganz zufälliger Fehler sein, daß sowohl Dr. Gaedertz in seiner Einleitung zu "Harten Leina", als auch Albert Schmidt in seinem "Gedenkblatt" den 10. November, den Geburtstag Luthers und Schillers, auch als den Geburtstag Burmesters bezeichnen, der doch tatsächlich am 11. November (1839) geboren ist? - Es ist wirklich sehr viel Unausgeglichenes in Burmesters Leben und Dichten. Und doch: Schad’ um den Mann, der bei reichen Gaben und bei eifriger literarischer Betätigung in gebundener und ungebundener Form - kein anderer "geborener" Lauenburger hat es ihm in diesem Stiicke gleichgetan - eine unabgeklärte Persönlichkeit blieb und deshalb nicht zur vollen dichterischen Reife gelangte.
 




 


 

 

 

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