Wie aus den zurückliegenden
Veröffentlichungen über die steinzeitlichen Funde des
Schaalseegebietes *) schon bekannt ist, ist bei Vergleich
der verschiedenen Fundstellen hier die überraschende Tatsache
bemerkenswert, daß die festgestellten Steinwerkzeuge und zum
Gebrauch hergerichteten Abschläge aus Feuerstein augenscheinlich
nach ihrem Vorkommen auf jeweiliger Lagerstätte
auseinandergehalten werden können und so AUF GRUND GEOLOGISCHER
LAGERUNG deutlich erkennbar einmal einer technisch vollendeteren
und andererseits einer sehr primitiven Steinkultur angehören.
Für die Sandflächen, den Vorsandern der Endmoränen des Gebietes,
ist das Vorkommen neolithischer bis jungpaläolithischer
Werkformen charakteristisch, während die altpaläolithisch
aussehenden Formen sich ausschließlich auf der Grundmoräne
finden, die dem Seedorfer Sander südlich vorgelagert ist.
Vereinzelt altpaläolithisch aussehende
Stücke finden sich auch im Geschiebelehm der nördlich
vorgelegten Endmoränenstaffel Dargow.
Die offenbar jüngeren Stücke auf den Sandflächen zeichnen sich
im wesentlichen durch eine elegantere, ja bisweilen "schöne"
Formgebung aus: gerade, lange Klingen, schöne und sorgfältige
Randretouche. (Tafel 1: Nr. 1-8.) An
einigen Stellen das Vorkommen von Mikrotechnik.
Die Fundstücke von der Grundmoräne dagegen wirken in ihrer
Primitivität wie Reste einer sehr beträchtlich älteren
Kulturepoche. Sie sind größtenteils roh vom Feuersteinknollen
abgeschlagene Scherben, die neben Gebranchsspnren primitive
Abnutzungs- oder Schutzretouchen zeigen. (Tafel 1:
Nr. 9-19; Tafel 2: Nr.
20-36.)
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*) Schmantes: Festschrift z. 50. Iubil. d.
Hamburg. Museums f. Völkerkunde. - Müller-Brauel: Zeitschr.
Germanien. Niederdeutsche Heimatbl., Heft 12,
6. Jahrg. - Range: Zeitschr. d. Deutschen Geolog.
Gesellschaft, Heft 1, Band 82.
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Einige schönere Stücke nur ragen durch ihre Formgebung aus dieser
primitiven Fundmasse heraus. - Es sind dies die Bogen- (Nr. 9,
10) und Rund-Schaber (Nr. 27, 28), sowie
"schöne" Spitzen (Nr. 19, 34) und Doppelspitzen von
Typform Weimar-Ehringsdorf-La Quina-Nord (Nr. 13, 14).
Hierher sind auch die ausgezogenen Bohrspitzen, die große Ähnlichkeit mit den
sogenannten Micoque-Spitzen zeigen, zu rechnen.
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"Faustkeil"-Formen, die den bekannten
Moustierformen ähneln, geben der Fundmasse gleichfalls ein, von dem Fundinventar
der neueren Steinzeit abstechendes, sonst nur dem bisher bekannten
Alt-Paläolithicum eigentümliches, Aussehen. (Nr. 15, 16.)
Es ist nun weiterhin außerordentlich interessant, daß bei näherer und längerer
Kenntnis der verschiedenen Fundorte für verschiedene der-
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selben sich ortseigentümliche Merkmale, sei es der Formgebung,
der Bearbeitung, sei es auch bisweilen des verwandten Materials, feststellen
lassen.
Auf einigen Stationen scheint eine Aberlagerung durch jüngere, aber immer noch
paläolithische Kulturen stattgefunden zu haben. An mehreren Stellen lassen sich
augenscheinlich drei verschiedene Kulturen durchfühlen.
Für die Werkzeuge mit primitivstem Habitus, also die scheinbar älteste Stufe,
ist m. E. auch der durchschnittliche Erhaltungszustand des Materials zur
Bewertung charakteristisch. Die scheinbar älteren Formen machen m. E. einen
meistens greisenhafteren Eindruck durch Oberflächenpolitur, Rollung, Schrammung
usw. Dem Erhaltungszustand nach neuartiger aussehende Stücke kommen unter den
Stücken der primitiven Stufe zwar vor, nicht aber sind auf den Stationen mit
neuerer paläolithischer Technik Stücke von jenem "greisenhaften" Aussehen zu
finden.
Man kann ferner feststellen, daß die eigentlichen Fundstellen jeweils begrenzt
sind, wenn auch auf dem dazwischen liegenden sterilen Gebiet hin und wieder
Stücke gefunden werden. Meistens sind dies eben Stücke der scheinbar älteren
Stufe.
Gestärkt wird die auf diese Beobachtung gegründete Anschauung von dem Bestehen
unterscheidbarer und wohl auch zeitlich auseinander liegender Kulturen auf den
Fundstellen der Grundmoräne durch die Feststellung, daß sich auf bestimmten
Fundstellen Werkstücke von den Stationen eigentümlicher Formgebung erkennen
lassen (also zugehörige "Typen"). So z. B. zeigt das Material von der Station
16 ein Vorkommen von ein- oder zweiseitig bearbeiteten flachen
Stücken (Abb. Nr. 20, 21, 22, 23).
Diese Wcrkform fehlt auf den meisten anderen Stationen. (Nur noch auf 3
Stationen vereinzelt festgestellt.) Das Material von 9 führt auch
deutliche Klingen, die auf anderen Stationen fehlen und nur vereinzelt, dann
aber als sogenannte Levallois-Klinge (breiter, dicker Klingenabschlag)
"verstreut" auf anderen Stationen auftreten (25, 36,
30, 33). Das Material von Station 60
zeichnet sich durch Vorwiegen einer hochrückigen Technik aus. Das Material von
Station 42 zeigt in der Gesamtheit ausgeprägt primitivere,
klobigere und größere Werkformen als die anderen Stationen. Zu bemerken ist, daß
natürlich hin und wieder mal auf Fundstellen offensichtlich anderer Stationen
vereinzelte Stücke auftauchen, die von dem Kenner des Stationsmaterials als der
Station fremd und als "Streufunde" erkannt worden.
In dieser Weise kann man, wenn man das gesamte Material durchgeht, verschiedene
Eigentümlichkeiten mehrerer Stationen erkennen. Hier sollen nur ganz deutliche
Beispiele durch die beifolgenden Abbildungen gegeben werden.
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Da diese Siedlungen der Steinzeitbewohner offenbar durch
geologische Veränderungen wenig beeinflußt worden sind - höchstens sind durch
Abtragung einige Stücke von den Höhen in die Senken befördert-, ist es nicht
wahrscheinlich (immer vorausgesetzt, es handelt sich bei den Funden um ECHTES
Paläolithicum), daß der letzte Vorstoß der eiszeitlichen Gletscher das
Siedlungsgebiet erreicht hat. Das vordringende Eis würde andernfalls wohl die
Werkzeuge der steinzeitlichen Siedlungen vermischt, auf die gesamte Grundmoräne
verteilt oder aufgearbeitet haben.
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Neben dem ausgesprochen "schärferen Gesicht" *) der nördlicher
gelegenen Moränen im Gegensatz zu dem ausgeglicheneren "greisenhafteren"
Landschaftsbild der Grundmoräne Seedorf spricht nun möglicherweise DER Umstand
für eine zwischeneiszeitliche Besiedlung, daß sich auf einigen Fundstellen des
GRENZgebietes Sander-Grundmoräne im Verlaufe der Bearbeitung öfters verstreute
Flintabschläge und scheinbar bearbeitete Splitter mit erkennbaren
Gletscherspuren (Schrammen, Patina) fanden.
Verdanken diese Feuersteinstücke ihre Gestalt menschlicher Einwirkung? Mir
scheint bei vielen derselben eine Entstehung durch Eisdruck unwahrscheinlich,
schon wegen mancher scheinbarer Feinheiten der Bearbeitung. Der Gletscher ist
aber, dies zeigt sich durch die Kritzung, Schrammung, über diese Steine
hinweggegangen. **)
Im Rahmen dieser Darlegungen ist es natürlich unmöglich, zu diesen Funden eine
Deutung der möglichen geologischen Vorgänge versuchen zu wollen. Eine größere
Ausstellung der Seedorfer Funde im Heimatmuseum ist in Aussicht genommen. Darin
sollen auch Stücke gezeigt werden, die vermutlich von Menschenhand verfertigt
und durch Gletscherdruck geschrammt worden sind.
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*) Vergl. Range. Zeitschr. d. Deutschen Geolog. Gesellschaft. "Das Alter
der Schaalsee-Zivilisation". Heft 1, Bd. 82.
**) In eine Wiedergabe durch Zeichnung läßt sich leicht - AD
DEMONSTRANDUM - Gewolltes hineinbringen, und eine photographische Aufnahme gibt
die feinen Gletscherschrammen usw. nicht erkennbar wieder. Hier muß daher eine
Wiedergabe solcher Stücke unterbleiben.
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