Im Dorfe Talkau liegt das schöne Gewese des
Bauern Hans Jochen Heinrich Flindt. Die Bauernstätte heißt seit
alter Zeit 'Gerkenhuis', das Haus des 'Gerke'. Keiner wußte
mehr, woher der Name gekommen war. Aber wer immer den Hof erbte,
er hieß der 'Giärkenbur', und die Frau, die auf den Hof
heiratete, war die 'Giärkenfrug' und wurde als 'Giärkenmurrer'
angeredet. Die Kinder, die auf dem Hofe heranwuchsen, waren die
'Giärkenkinder'. Waren es also etwa 'Heinrich' und 'Katharina',
dann kannte man sie als 'Giärkenhinnik' und 'Giärkentrina'. Als
die Mutter des jetzigen Bauern, die aus Walksfelde stammte, in
das 'Gerkenhuis' kam, ward auch sie als 'Gerkenmurrer'
angesprochen. Die junge Bäuerin wollte nichts von dieser Sitte
wissen. Sie sagte zu den Milch holenden Frauen aus den Katen:
"Wenn jü mi nich bi min richdign Nam'n nömt, kriegt jü kein
Melk." Da hörte die alte Benennung auf. Und aus ähnlichen
Beispielen an andern Stellen und Orten kann man nachweisen, wie
etwa mit dem vorigen Geschlecht die alte, schöne Sitte der
Benennung nach dem Hofe aufhörte, ja der Hofname selbst
entschwand, so daß heute die Kinder den ehrwürdigen Namen ihrer
Stätte kaum noch kennen. Und das alles doch nur, weil Sinn und
Wert des alten Brauches dem Bewußtsein in der schnell
schreitenden und sich selbst überschätzenden modernen Zeit nicht
mehr aufging.
In demselben 'Gerkenhuis' heiratete der Großvater des jetzigen
Besitzers, des Bauern Jochen Hinrich Flindt, die Schwester des
Bauern Jochen Hinrich Reimers aus Talkau. Dieser Bauer wiederum
heiratete die Schwester desselben Bauern Flindt, bekam also die
Anna Margareta Flindt. Es war eine sogenannte 'Tuuschfrie', eine
Tauschheirat zwischen den Höfen 1). Die geborene
Anna Margarete Flindt,
_______________
1) Eine Tauschheirat nennt man die wechselseitige
Heirat zwischen zwei Geschwisterpaaren. Ein so glückliches
Ereignis ward dann auch gebührend gefeiert und blieb lange im
Gedächtnis und im Gespräch der Mitlebenden bewahrt als eine
glanzvolle Erinnerung. Mancher junge Bauer mag es als einen
verbind-
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die bis dahin also 'Gerten Anna' genannt war,
kam nun in das Haus des Bauern Reimers. Dieses Haus hieß aber 'Hansenhuis'. So
wurde die geborene Anna Flindt, genannt 'Gerten Anna', als verheiratete Frau
Reimers zur 'Hansenfrug', und im Gedächtnis der älteren Mitglieder vom
'Gerkenhuis* lebt sie noch als 'Hansentante'.
Es ist fast, als ob ein solches Mädchen nie zu seinem eigenen Rechte kam, so
vollständig ging der Name in dem machtvollen Namen des Hofes auf. Denn dies ist
in der Tat der Sinn der Sitte: Das Haus, das Herdfeuer mit dem schützenden Dache
darüber, und der Boden, der von den Vorvätern geschaffene und das ganze
Geschlecht in immer gleicher Fruchtbarkeit und Dankbarkeit tragende Grund, die
gesamte Stätte, sie bewahrt ihren Namen und umfaßt damit alle in ihrem Bereiche
lebenden Personen. Die Stätte wird 'an der Reihe' erhalten; sie bleibt immer.
Die einzelnen Familienglieder sind eben nur Glieder in dieser Kette. DIE SCHOLLE
TRÄGT DAS GESCHLECHT, das Blut ist dem Boden verhaftet, und IN DEM NAMEN DER
SCHOLLE GEHT DER EINZELNE UNTER, oder besser gedacht, es ist der Stolz des
einzelnen, daß er den Namen der Scholle trägt.
Selbstverständlich ist dieser Brauch im gesamten Dorfe lebendig gewesen. Alle
Stätten hatten ihren Namen: Gerkenhuis, Swanneshuis, Lülfshuis, Hansenhuis,
Siemsbur, Buvagshuis. Es war nun zu untersuchen, woher die Namen kamen, da die
Leute selbst nicht mehr Auskunft wußten 2). An der Hand der
Gerichtsakten in Schwarzenbek und der verschiedenen Geldheberegister im
Staatsarchiv in Kiel ist die beigedruckte Übersicht der Besitzer hergestellt,
auf die sich die Untersuchung stützt 3).
_______________
lichen Liebesdienst seiner Schwester gegenüber angesehen haben, daß er seinen
künftigen Schwager für die Doppelschwagerschaft gewann. Das Gefühl für diese
ritterliche Brudersorge lebte durchaus im Volk. Und wie auch sonst so manches
große Gefühl sich keimend im Kindesspiel offenbart, so konnte sich auch dieses
Verhältnis zwischen Schwester und Bruder im Spiel offenbaren. Es wird eine
hübsche kleine Geschichte darüber erzählt, wie eines Tages ein Bruder, der
bereit war, später einmal für seine Schwester einzutreten, sich beim Spiel im
Streit mit ihr zu der furchtbaren Drohung hinreißen ließ: "Du! Du! - Ik tausch
die gurnich in!"
2) Otto Lehmann, das Bauernhaus in Schleswig-Holstein, 1927,
S. 28: "Die ursprünglichen acht Hufnerstellen des Dorfes (gemeint
ist Tramm) haben noch heute ihre alte Bezeichnung unabhängig von den jeweiligen
Besitzern, eine Eigentümlichkeit, die sonst nicht wieder in Schleswig-Holstein
anzutreffen ist. wohl aber im westelbischen Gebiet, vor allem im Ravensberger
Lande in Westfalen verbreitet ist." Von diesem Satz gingen ursprünglich meine
Nachforschungen aus. Sie zeigen, daß der Brauch nicht bloß in Tramm besteht,
sondern daß er einen größeren Bezirk bildet, wie dies inzwischen auch dem
Verfasser des schönen Werkes, das man nicht genug empfehlen kann, bekannt
geworden ist.
3) In den vorgelegten drei Übersichten sind die Namen der Besitzer
AB 1600 aus den Registern des Amtsgerichts Schwarzenbek
gearbeitet. Es ist also der Name zuverlässig, ebenso die Reihenfolge der
Besitzer. Die Namen der Besitzer von 1513 - 1593
sind aus den verschiedenen Heberegistern des Staatsarchivs in Kiel genommen. Die
Namen sind für die angegebenen Jahre im Dorfe bestimmt vorhanden; die Zuordnung
der verschiedenen Namen zu den einzelnen Höfen ließ sich aber für diesen
Zeitraum NICHT IMMER mit derselben Sicherheit angeben. Für die uns
beschäftigende Frage ist dies im einzelnen Fall wohl hinderlich; das
Grundsätzliche der Antwort wird dennoch dadurch kaum berührt.
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Erforschen wir zunächst an der Hand der
Beilage die Verhältnisse im Dorfe Talkau!
Im Landbederegister finden wir 1513 zwei Milges im Dorfe: Gerke
milges und Milges Milges. Noch vor 1520 gibt es schon drei Milges:
Gerke, Heine und Henneke milliges; 1520 liegt Hennekes Stelle aber
wüste. 1521 werden nur Gerke milliges und Heine genannt, dieser
letztere allein mit seinem Vornamen. Vermutlich hatte er die Stelle des Henneke
mit im Besitze, und so sieht es 1532 noch einmal aus. Um
1536 ist wieder ein Milliges Milliges auf der Stelle, die 1600
dann Gerke Mylliies im Besitze hat. Ihm folgt 1666 Heinrich
Langelütje und 1687 Hans Langelütje, der auch noch 1689
genannt wird. Diese 'Langelütje' müssen wohl 'Myllies' gewesen sein; denn das
Kirchenbuch sagt, daß Peter Flint, Sohn des Harm Flint in Niendorf (a. St.), am
13. Oktober 1690 Cathrin Milljes, sel. Hans Milljes
zu Talkau nachgelassene Witwe, heiratete. So kamen die Flindts auf den Hof. Der
Hof behielt aber seinen Namen 'GERKENHUIS', den er nach jenem Gerke Millies um
1600 erhalten haben muß.
Der Name Millies, also wohl auch das Geschlecht der Millies war damals recht
verbreitet. Man begegnet dem Namen in Ratzeburg (Jochim Millies 1545),
in Klempouw (Arach Millies 1545), Arnd Millies 1564),
in Krummesse (Aßmus Millies 1545/64), in Köthel
(Milliges Milliges 1545), in Breitenfelde, in Wotersen (schon
1517 Hermen Mylges). Der erwähnte Gerke milges von 1517
saß auf einer Vollhufe; die Stelle kennt 1564 den Castenn Mylliies
und 1648 den Gim Millies. 1690 wirtschaftete Joachim
Millies (Sohn des Lülf Millies) auf der Vollhufe, und neben ihm besaß ein andrer
Joachim Millies, genannt Chims Sohn (wohl Enkel von Grimm Millies dem Kleinen)
eine weitere Milliesstelle, die nur 3 'ferdendel' hatte, das sind
drei Viertel. In jenem Jahr war eben der oben genannte Hans Millies (Flindts
Vorgänger) gestorben, und noch ein anderer Millies, nämlich Peter der Kätner,
war damals gestorben, auch vor 1690. Vor 1690 hatte
es also vier Millies im Dorfe gegeben. Wie auch sonst, spielen nun hier die
Vornamen eine ganz andere Rolle als die Zunamen. Die letzteren haben sich erst
im Laufe der Zeit zu ständigem und festerem Gebrauch dem Vornamen zugesellt. Mit
Hilfe der Vornamen unterschied man jedenfalls die Einzelhöfe der Sippe. Nach dem
Lülf Millies (vor 1690) hieß die Vollhufenstätte 'LÜLFS HUIS' (in
heutiger Aussprache, die den Tatbestand zunächst nicht erkennen läßt: Lüers
Huis). Seit 1789 ist die Stelle im Besitz der Familie Meyer. Nach
dem Gerke Millies (um 1600) hieß dessen Stätte 'GERKENHUIS'. Es
war auch nur eine alte Halbhufenstelle. Jene andere alte Halbhufenstelle des
Heine Millies von 1520 bewahrte den Namen 'SWANNESHUIS'. Das
bedeutet 'Sülfannerhuis' (Selbanderhaus). Es läßt sich schwer sagen, aus welchem
Grunde diese Benennung erfolgte. Man darf aber nach dem Vorkommen dieser
Bezeichnung an andern Stätten (z. B. in Schretstaken) annehmen, daß die
Benennung sagen will, der Bauer habe zwei Höfe gehabt. Das mag zurückgehen auf
Jahre, wie sie
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die Listen 1520/21 oder 1532
darstellten. Nach dem Doppelbesitzer, dem Swannesbur, muß die Stätte ihren Namen
haben. Eine alte Bäuerin sagt, daß das Swanneshaus auch wohl Harmshuis genannt
worden sei. Der Name Harm kommt in der Liste des Hauses nicht vor; doch gab es
in Breitenfelde den Vornamen Harm unter den Miljes. Daher möchte ich annehmen,
daß der 1513 benannte Harke Harwes oder Harmes (der Buchstabe ist
unleserlich) schon ein Miljes war. Dann wäre der Name durch den 'Swannesbur'
überwachsen worden.
Der letzte Swannesbur (Millies) starb 1909. Da die Kinder sich
nicht über die Erbschaft verständigen konnten, wurde der Hof parzellenweise
verkauft. Ein Teil, die alte Hofstelle, ging mit dem alten Hofplatz vom
'Hansenhuis' zusammen an den Landmann Schmid über 4). Der vierte
Millies, 'Peter der Kätner*, hinterließ auch seinen Namen. Wenn vermutlich die
Katenstelle auch nicht Petershuis genannt wurde (es müßte sonst die Erinnerung
daran als ganz erloschen gelten), so heißt der Weg an jener Stätte aber noch
'Peirers Rerr', ein Teich dort 'Peirers Diek'; ein Weber, der in der Kate
wohnte, lebt noch in der Erinnerung als ' PEIRER Wäwer', ebenso ein 'Peirer
Snierer'.
_______________
4) Dieser Fall, daß die Kinder sich nicht über die Erbschaft
verständigen konnten und den alten Hof verkauften, bildet in unsern heimatlichen
Verhältnissen eine Ausnahme. Dies mag die folgende Betrachtung hier
rechtfertigen: Bis zum Jahre 1872 galt in unserm Kreis das
Meierrecht. Dieses erbliche Nutzungsrecht beließ den Herrn 'im absoluten und
unstreitigen Eigentum' (Königl. Rescr. 1718/27); es
unterwarf die Veräußerung, Teilung oder Verschuldung der Genehmigung. Die
Wirkung des Meierrechts zeigte sich darin, daß mehr als die Hälfte der Höfe in
Lauenburg schuldenfrei blieb und daß im übrigen nur geringe Schuldbelastung
stattgriff; es fand Vermögensansammlung statt. Da die Abmeierung nur in
bestimmten Fällen stattfinden durfte, wurde die Vererblichung allgemein, und es
gibt in Lauenburg genug Bauernhöfe, die länger als 250 Jahre in
derselben Familie weitervererbt sind. Seit das Meierrecht 1872
aufgehoben wurde und die Güter in Eigentum übergingen, wobei Lasten und
Beschränkungen wegfielen, hat sich die Verschuldung gesteigert, mancher gesunden
Familie zu großem Leide. Die Erbsitte hat sich aber als fest erwiesen. Ihr Ziel
war die Erhaltung der Bauerngüter in der Familie durch Übertragung auf einen
leistungsfähigen Besitzer. Diese Leistungsfähigkeit versuchte man zu stützen
durch niedrigen Zins, durch Aufschub der Auszahlungen, durch längere
Kündigungsfristen und vor allem durch eine mäßige Veranschlagung der Landgüter
im Erbgange. Es ward nicht der Handelswert gerechnet. Bei 10
untersuchten Fällen m Lauenburg blieben die Höfe unter dem Verkehrswert, und
zwar 1 unter 30 Prozent, 1 unter
50 Prozent, 1 unter 60 Prozent, 2
unter 70 Prozent. 3 unter 80, 2
unter 90 Prozent. Auf amtliche Frage geben die Amtsgerichte in
Kreise die Auskunft, daß nicht nach dem Verkehrswert abgefunden wird und nicht
überlegt wird, was ein fremder Käufer zahlen würde. (Erste Ausnahmen beim A.-G.
Steinhorst.) Und die Frage, ob es vorkomme, daß INTESTATERBEN von der
gesetzlichen Befugnis Gebrauch machen, daß sie das Landgut zum öffentlichen
Verkauf bringen lassen können, wird von dem A.-G. Lauenburg so beantwortet: "In
20 Jahren - ein Fall", und das A.-G. Schwarzenbek weiß auch nur
von einem Fall. Das war um 1900. Danach kann man die Seltenheit
des oben besprochenen Falles ermessen. Die Mehrheit der Bevölkerung blieb bei
der Erbsitte, die das Gewissen geprägt hatte und vom Gewissen vorgeschrieben
blieb. Denn im Gewissen hört man die ewige, unverbrüchliche Ordnung, die von
Gott gesetzt ist. So sagt es der Sachsenspiegel: "Got is selve Recht", und so
sagt der Deutschenspiegel: "Swer got minnet, der minnet Recht".
Vgl. zu dem Ganzen: Sering, die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im
Königr. Preußen, Bd. I Schleswig-Holstein.
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Die BAUERVOGTSTELLE bewahrte ihren Namen als solche natürlich
unter den wechselnden Namen der Vögte. Von 1513-1726
saßen die Reimers darin. Heute ist nach wechselnden Schicksalen in der
allerjüngsten Zeit nur noch eine Reststelle von 100 Morgen
übriggeblieben (früher 350).
Schon 1513 finden wir einen Vollhufner in Talkau mit dem alten
Namen Prußman, für den 1545 ein Burmester erscheint. 1643
hat die Stelle Siemer Siemers, dessen Name bewahrt bleibt. Der letzte SIEMSBUR
fiel 1871 im Kampfe gegen Frankreich.
Dieser Siemer Siemers war vielleicht aus dem Hause, das mit Gerke Symers
1513 erscheint und vor dem Hans Reimers 1681 endet. Unter
den nun folgenden Reimers hat Hans Reimers seine Bedeutung gehabt; denn sein
Name muß es sein, den die Stätte bewahrt: HANSENHUIS. Das alte Hansenhuis
brannte 1924 nieder. Ein Neubau an der Chaussee ist nun die neue
Stätte auf dem Hof. Die alte Hofstelle ist durch Verkauf abgetrennt worden.
Außer den genannten 6 Höfen und der erwähnten Kätnerstelle gab es
noch zwei Katenstellen im Dorfe. Die eine wird 1689 die 'alte
wüste Stätte des Jacob Reimers' genannt. Es handelt sich um die jetzt
verpachteten Ländereien der ehemaligen Schipmanns. Und dann gab es im Dorfe noch
"auf des Bauervogts Stete die Schmids Kote (1689), genannt Lülf
Reimers' Altenteilskate", Die Kate des Schmiedes ist zugleich Altenteilshaus der
Bauervögte gewesen oder zu Lülf Reimers' Zeit geworden. Der Bauervogt Saß
errichtete an der Chaussee eine Gastwirtschaft mit Schmiede. Die Schmiede ging
ein; die Gastwirtschaft besteht heute noch (von der Heyde). Auf dem Platz der
alten Altenteilskate steht heute die Krämerei.
Die Ansiedlungen der Brinksitzer, das sind 6 an der Zahl, sind
etwa 1783 nach der Verkoppelung entstanden. Zwei dieser Siedlungen
sind noch in den Händen der Familien der Erstbesitzer (Hinsch und Behnke).
Wir führen an der Hand der Beilage noch ein anderes Beispiel vor, die Höfenamen
in FUHLENHAGEN. Die BAUERVOGTSHUFE läßt sich von 1513 ab ziemlich
sicher verfolgen. Noch 1810 saß ein Burmester darauf. Das
LOOSENHUIS, Loßhuis oder Loß-iar hat seinen Namen noch nach jenem Gerke Loß, der
1521 zuerst erscheint.
Bis zum Jahre 1564 kommt in den Registern der Name Loß immer nur
einmal vor, nach 1600 dagegen dreimal. Es erscheinen ein Hans Loß
und ein Joachim Loß. Die neue Stelle erhielt den Namen ANNERHUIS; es werden
vermutlich beide Höfe zeitweilig in einer Hand gewesen sein. Die heutige
Kistenmachersche Stelle wird STAMERHUIS genannt. Seit 1545 kann
man die Stamer auf der Stelle verfolgen. Das MANOGNHUIS geht zurück auf einen
der Manouws, die schon von 1513 her im Dorfe saßen. Die alte
Stelle, die zuletzt Miljes besaß, besteht nicht mehr, seit das Haus
niederbrannte. Der alte Name "BUBERSHUIS", aus der Zeit vor 1690,
ist noch bekannt. Die Stelle, die JAKOBSBUR genannt wird, hat immer einen
Siemers auf dem Hofe gehabt. Vor 1564 kommt scheinbar der Name
Jacob überhaupt nicht im Dorfe vor. Aber nach 1600 sitzt Jacob
Siemers auf der Stelle. Man muß also annehmen, daß nach ihm der Hof fortan
benannt wurde. Das geschah vielleicht, um den Namen abzusetzen gegenüber einem
Symer Stamer, der möglicherweise noch im Dorfe lebte. Endlich der MARTENSBUR hat
seinen
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Namen offenbar von einem Martin Burmester
1719; die Benennung sollte zuerst ebenfalls die
Unterscheidung von anderen Burmesters im Dorfe bewirken.
Die Fuhlenhagener Höfenamen zeigen uns besonders, daß auch
Zunamen bei der Stättenbezeichnung in Frage kommen. Lehrreich
ist die sprachliche Betrachtung dieser Verhältnisse: Es heißt
also 'Manogenhuis', das Haus des Manouw (gespr. Mano oder
Manog). Der Genetiv des Personennamens Manouw ist mit dem Wort
huis
zusammengesetzt. Das Wort 'huis' wird in dieser Verbindung nicht
'Hus' gesprochen, sondern mit gedehntem, langem u 'Huis, Hues'.
Diese Aussprache hat nur statt bei den alten Höfenamen, nicht
aber sonst. Man kann in Breitenfelde nicht sagen 'Pastorhuis,
Möllerhuis', sondern diese nicht stättenhaften Häuser heißen
'dat Bestuanhus, dat Möllerhus' 5). Die Aussprache
'Huis' deckt sich mit der gleichen in Ausdrücken wie 'achter
unsen Huis' oder 'vör den Huis' und zeigt dadurch, daß in dem
gedehnten 'Huis' eine alte Beugungsform steckt. Wenn wir für
'hüsere, Hüser' jetzt gedehnt sagen 'Hüüs', so verrät die
Dehnung noch die abgeworfene Endung. Ebenso zeigt die gedehnte
Form 'Huis' noch den alten Dativ 'huse' an. In der Verbindung
mit dem Genetiv des Namens zeigt huse DIE WOHNUNG UND DEN BESITZ
eines einzelnen Mannes an, während der Genetiv des Namens mit
dem Dativ des Plurals eine nach dem Führer benannte Ansiedlung
bezeichnen kann 6). Eine Form wie 'Manogenhuis'
zeigt noch heute Wohnung UND BESITZ an. Es ist ein echter
'Stättenamen'. Dem entspricht auch der Gebrauch; man kann nicht
jedes Haus als 'Huis' bezeichnen, auch nicht die kleineren
Stellen, deren Besitzer 'Kotner' heißen, heute 'Kätner'. Wenn
jemand nun sagt: "Ik bün noch ut'n Manog'nhuis, duar hev ik
deint, as ik jung wöeur", dann will er sagen: Ich habe bei dem
Manognbur gearbeitet und seine Felder mit bewirtschaftet und
habe im Hause gewohnt und mit allen Manouws zusammen gelebt und
sie alle ja ganz genau gekannt, und all ihr Freud und Leid war
auch Freude und Leid meines eigenen jungen Lebens.
Dies Umfassende in dem Ausdruck 'Manognhuis° kommt noch in einer
anderen Ausdrucksweise zum Vorschein. In Fuhlenhagen sagt man
auch: "Dat is Loß-ihr"; gemeint ist das Haus, der Besitz. Ebenso
sagt man in Breitenfelde: "Dat is Og'n-ehr"; gemeint ist der
Besitz 'Aue', gespr. 'O(g)', Genetiv 'Og'n', Besitzer: Prüßmann
7).
_______________
5) Ich fragte einmal eine alte Frau, ob man nicht
sagen könne: "Dat is en schönes Huis." Die gute Frau antwortete
mir: "Dat seggt man nicht - denn wör de Schaulrat je gurkein
Dütsch können." Ein Beweis, wie fein das Gefühl für diese Dinge
ist.
6) Beispiel in unserm Kreise: Börnsen. Der alte
Personenname BORNO (vgl. as. 'BARN' Kind; 'GIBURT' Geburt;
'MUND-BORO' Schützer) steht zusammen mit dem Dativ der Mehrzahl
HÛSUM: BORNISHÛSUM > BORNESSUM > BORNEM > Börnsen. Die
Silbe -sen bleibt als Schwundstufe von HÛSUM.
7) Kinder in Breitenfelde schrieben vor Jahren die
Namen der Stellen in folgender Weise nieder: Remeser, Dreiwser,
Beckerser usf. Das sollte bedeuten: 'Remers-ehr', hochd.
'Reimers ihre Stätte' (Besitzer: Diestel); 'Dreiwsehr', hochd.
'Drews ihre Stätte' (Besitzer: Siemers); 'Beckers-ehr', hochd.
'Beckers ihre Stätte' (Besitzer: Mansesen) usf.
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In hochdeutscher Ausdrucksweise würde es etwa lauten: 'Aues
ihre (Stätte)'. Zur Stütze des Genetivs ist also das besitzanzeigende Fürwort
der 3. Person hinzugefügt. Aber auch hier ist nicht bloß die
Stätte gemeint. Man sagt, wenn man die Familie meint: "Duor kamt Loß-ihr", oder:
"Stamers-ihr sünd utfeuit" u. ä. Die 'Stamers' sind die Familie; dem Genetiv
wird angehängt 'ihre' und es heißt nun: 'Stamers ihre (Angehörigen)'. Der
Ausdruck umfaßt wieder alle. Wenn man nun sagt 'Stamers-ihr', so meint das bald
die Familie, bald die Stelle, bald das Ganze. Und gerade darin, daß das alles
als ein Lebensganzes gefühlt und gedacht wird, liegt vielleicht das feinere
Leben des Ausdrucks. Man versuche im folgenden einmal zu unterscheiden, und die
Lebensfülle des Ausdrucks wird sich offenbaren.
Wenn in früherer Zeit jemand anbauen wollte, dann fand er nicht leicht ein Stück
Land zum Kauf. In Breitenfelde wurde vor etwa 50 Jahren der
'Hasenkaten' gebaut. 'Hasen-farer' erhielt dazu von 'Ogen ehr' den Bauplatz. Bei
seinem Tode aber fielen nun Land und Katen an 'Ogen ehr' zurück. Ein solches
Verhältnis drückte man so aus: "Hasenfarer hett up Läbnstied bugt". - Wer hat
nun auf Lebenszeit abgegeben und wer hat später wieder zurückbekommen? - Der
Bauer? Die Familie? Die Stelle? Es lebt eben alles dies zusammen unter dem
verhüllenden Ausdruck "Ogen ehr". Es ist damit ganz wie mit dem alten Worte
"eigen" (altnord, eiga, altsächs. egan, got. aigan, ahd. eigan). Es bezeichnet,
was man hat, besitzt, was einem ganz zugehört. Das Wort aigan geht nach
ostgermanischem Recht auch auf Frau und Kinder. Auch sie sind ein Eigen. Das
Wort Eigen, Egen, Ing bezeichnet also die SIPPE. Bei den alten Ortsgründungen
erscheint dieses Wort zur Bezeichnung des SippenGUTES in der Nachlautung -ingen,
z. B. Glüsing. Dieser Ortsname in Lauenburg würde etwa bedeuten: das Eigen des
Gluso und seiner Angehörigen, falls der Ortsname überhaupt von einem
Personennamen herrührt. Das Wort Glüsing bezeichnet beides, die FAMILIE UND DEN
GRUNDBESITZ DER SIPPE; in Lauenburger Ausdrucksweise müßte es also heißen
'Glüsen-ihr'.
Als drittes ausführliches Beispiel führen wir, wieder an der Hand der Beilage,
DASSENDORF vor 8). Die Reihe aus 1517 liegt im
Landbederegister vor. Da ist der WULFSBUR. Man sieht seine Linie von 1517
heraufkommen. 1856 stirbt Hans Heinrich Jochim Wulf. Die Stelle
behält den Namen. Der Interimswirt Franz August Nikolaus Schulz bleibt auf der
Stelle. Da ist der KIEHNSBUR. Seine Linie kommt auch von 1517
herauf. 1760 aber hat die Stelle Mathias Heidelmann. Die Stelle
wird 1876 parzelliert. Ein Rest der Stelle ist die "Waldschänke".
Der HÄMESBUR tritt 1544 zuerst als Detloff Heineman auf (gespr.
Heman). Zwischen 1600 und
_______________
8) Die Listen ab 1600 verdanke ich, wie auch sonst
eingehende Auskunft über Dassendorf, Herrn Lehrer Einfeldt dort. Ich habe die
Listen nach rückwärts bis 1517 weiter ermittelt. Herr Einfeldt,
von dessen heimatkundlichen Arbeiten die 'Heimat' schon früher Aufsätze gebracht
hat, ist m. W. der erste, der in Lauenburg eine solche Dorfliste aufgestellt
hat, um dem Hofnamen nachzugehen.
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1687 schon kommt Peter Wohltmann auf die Stelle. Wie aber nun auch
die Besitzer wechseln, der Name bleibt. Der MARESBUR kommt als Ludeman,
Lueheman, Lüdeman von 1517 herauf. Noch 1600 sitzt
Lüdeke Lüdemann auf der Stelle. Dann folgt ihm Markus Grote (Markus > Mares,
gespr. Maares). Vielleicht baute er nach dem großen Kriege die zerstörte oder
wüste Stelle wieder auf. Jedenfalls blieb sein Name an der Stelle haften. Der
Besitz ist 1930 an Prof. Sachse-Mölln verkauft. Der GÖTENSBUR wird
wohl der Gotke Boschen von 1517 sein (gespr. Götke). Mit ihm hängt
Götke Reimers von 1562 vermutlich zusammen. Die Liste legt es
nahe. Der Name blieb bis heute, nachdem noch im 17. Jahrhundert
andere Besitzer aufgezogen waren. Heute ist die Familie Hamester auf der Stelle.
Die BUVAGSSTÄ ist 1600 im Besitz der Uhrbrocks. Vermutlich war
ursprünglich ein Hove oder Hauemeister auf der Bauervogtsstelle. 1517
war es scheinbar Wulff; der Name, der an erster Stelle auf der Liste steht,
wechselte. Die Liste erscheint in den verschiedenen Geldhebelisten immer
gebrochen. Es erscheinen an einer Stelle die "Scharpenbergs Lude" in einer Reihe
für sich, und an anderer Stelle liest man die Rieken, Kopes und Heinemann. Der
KAUESBUR geht entweder auf den Namen des KORT Carstens von 1600
zurück (Kort, gespr. Kauert, Kauertsbur) oder schon auf den Kopesbur von
1544 (gespr. Kaupsbur > Kauesbur). Der Name Kaupsbur kommt auch anderswo
vor. Der EULESBUR mag noch den Namen des Ulrich Burmester von 1687
bewahren. In ähnlicher Weise erklären sich alle Namen der Übersicht. Merkwürdig
ist, daß nun in Dassendorf auch die Kätnerstellen alle ihren besondern Namen
führen. So gibt es dort einen 'BUMMES'. Nach ähnlichem Vorkommen an andern
Stellen muß man schließen, daß diese Katenstelle, die 1593 zuerst
erscheint mit einem Henneke Burmester, einen alten Bauervogt, einen Bummes, im
Altenteil beherbergte. Vielleicht hieß dieser Henning Bummes eigentlich Henning
Hafemeister. Denn nach ihm erscheinen an derselben Stelle zwei Hafemeister:
Johann und Heinrich.
Die gesamte Betrachtung der Namengebung legt noch die Vermutung nahe, daß gerade
um 1600 oft der Besitzername haften blieb. Es ist möglich, daß in
jener Zeit der Wohlhabenheit von 1600 manches Haus neu gebaut
wurde, das erste alte Kolonistenhaus ersetzt wurde. Und des Neuerbauers Name
blieb erhalten.
Wir kommen zu folgendem Ergebnis: ALTE STÄTTENAMEN, DIE JAHRHUNDERTE BESTEHEN,
WIE AUCH IMMER DIE BESITZER WECHSELN, GEBEN DEM HOF UND DEM BAUERN SEINEN NAMEN,
WIE ER SELBST AUCH IMMER HEISZEN MÖGE. DIE NAMEN GEHEN AUF VOR- ODER ZUNAMEN
FRÜHERER BESITZER ZURÜCK. SIE BEWAHREN DIE ERINNERUNG AN DEN GRÜNDER ODER
NEUERBAUER DER STELLE NACH DER WÜSTUNG ODER DIENEN PRAKTISCHEN UNTERSCHEIDUNGEN,
WO MEHRERE GLEICHEN NAMENS VORHANDEN SIND. DER NAME DER SCHOLLE DRÜCKT DEN AUF
IHR HERANWACHSENDEN FAMILIENMITGLIEDERN IHREN NAMEN AUF. DIE SCHOLLE REGIERT.
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Wir haben die Fortsetzung der Namenliste durchaus nicht bis auf den letzten Tag
gemacht, weil es nicht zu unserm Thema unmittelbar gehört. Wir könnten sonst
noch die Beobachtung machen, wie gerade in den letzten beiden Generationen der
Besitz anfängt, durch Kauf zu wechseln, und daß er, wenn er erst wechselt, immer
weiter wechselt und schließlich parzelliert, zerstückelt wird. Das Band zwischen
Scholle und Mensch ist zerrissen.
Eine verweilende Einsichtnahme erlaubt noch manche andere Betrachtung an der
Tabelle. Eine Familie bleibt von 1593-1896,
vielleicht gar von 1517 an dauernd auf der Stelle. Vor 1593
besteht eine gewisse Unsicherheit in der Zuordnung. Von da an ist aber der
Übergang vom Vater auf den Sohn in ununterbrochener Linie sicher. Nach einem
Balzer Hafemeister trägt die Stelle ihren Namen. Es handelt sich um den
BARTELSBUR. - In der WULF-Linie sind von 1600-1927
nur 11 Besitzer in den gerichtlichen Eintragungen zu zählen.
Andere Höfe zählen bis zu 17 Vertretern in derselben Zeit. Darf
man sich dies deuten als größere Lebensdauer in dem einen Geschlecht? Spricht in
andern Fällen nur Schicksal oder Charakter umso stärker? Oder hängt die
schnellere Folge nur mit dem Majorat zusammen, mit dem Umstand, daß der älteste
Sohn erbt? Wo dieses Ältestenrecht herrscht, kommt nach dem Sprichwort "die
Wiege nicht vom Hofe". Es bleibt Platz zu schaffen für den Nachfolger. - Eine
AUFTEILUNG einer Stelle geschah nicht vor 1876, und es geschah
erstmalig vor 100 Jahren, daß eine Stelle verkauft wurde. - Eine
Nichtlauenburgerin gab es vor 1900 auf keiner Stelle.
Bei solchen Verhältnissen nimmt es denn auch nicht Wunder, wenn sich allerengste
Verwandtschaft in den Dörfern herausgebildet hat. Das erreicht zuweilen Grade,
die uns kaum vorstellbar erscheinen. Die beigedruckte Zeichnung gibt einen
Einblick in solche Verwandtschaftsverhältnisse in einem Lauenburgischen Dorfe,
das hier weiter nicht genannt wird. Leicht erkennt man den nicht verwandten
fremden Zuzug. (Siehe Tabelle am Schluß!)
Wenden wir uns noch einmal dem Sprachlichen zu! Wir fanden oben schon, daß der
Genetiv des Namens mit dem Wort Huis zusammentritt: Manognhuis. Hier in
Dassendorf heißt die Stelle einfach 'de Kiensbur', 'de Wulfsbur'. Auch der Bauer
heißt so: 'de Kiensbur', 'de Wulfsbur'.
In dieser Art, Stelle und Bauer gleichmäßig zu bezeichnen, liegt wohl noch eine
alte Erinnerung der Vorstellung erhalten, daß der BEGRIFF DES BAUERN WESENTLICH
MIT DEM BEGRIFF DER WOHNUNG ZUSAMMENHÄNGT.
Einem ags. bur 'Wohnung' entspricht ahd. bur 'Kammer, Haus' (welches Wort wir
noch in 'Vogelbauer' kennen). Ein Bauer (mhd. gebure, ahd. giburo, gi = mit) ist
eigentlich einer, der mit einem bur, mit einer Wohnung angesessen ist. ein
'gebur', ein Mitsiedler, ein Genosse in einer Ansiedlung, ein Dorfgenosse. Fällt
in dieser Bezeichnung mehr der Hinweis auf das Wohnen ins Gewicht, so ist in der
Bezeichnung 'huis' (as. hus, got. -hus [nur in gudhus 'Tempel' erhalten]) mehr
der Hinweis auf das den Mittelpunkt des Hauses
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bildende Herdfeuer, das durch das Dach des Hauses
vor dem Erlöschen geschützt werden sollte. Das Feuer brannte auf
dem Erdboden. Das althochdeutsche 'Herd' bedeutet einfach
Erdboden. Für uns bleibt nun als merkwürdig, wie in der
Bezeichnung der Name IN DER GENETIVFORM ALLEIN genügt. "Das ist
Eulers, das ist Wulfs." Gemeint sind die Stellen. Aber wenn der
Bauer daherkommt, sagt man ebenso: "Da kommt Eulers, da kommt
Jakes." Man könnte annehmen, das sei ganz einfach, es sei eben
das Grundwort -bur stillschweigend hinzuzusetzen. Doch ist die
Sache vielleicht mehrdeutig. Wenn die Stelle 'Goetens' genannt
wird, so kann wohl der Bauer als Goetens(bur) benannt werden;
die Stelle selbst aber müßte doch 'Goetenhuis' genannt worden
sein, da im Mnd. das Wort bure 'Landmann' von dem Neutrum bur
'Gemeinde, Ansiedlung' geschieden werden muß. Dies letztere Wort
ist u. a. noch erhalten in 'bur-mester' Bauervogt (Bummes,
Buvagt). Vielleicht ist die Form Goetens eine Schwundstufe von
'Goetenhuse' (> Göetense > Goetens). Ich möchte dies annehmen,
da im Westfälischen noch solche Hofbezeichnungen mit der Endung
-se vorkommen. Das würde im übrigen voraussetzen, daß die hier
eingewanderten Kolonisten eine Sitte mitbrachten, die auf SEHR
ALTEM Brauch der Heimat beruhte.
Wenn die Namen der Stätten nun so beherrschend die Eigennamen
der jeweiligen Besitzer in den Hintergrund rücken, die Stellen
also den immer gleichen Namen tragen, dann bekommt dieser Name
etwas Überpersönliches. Auf diesem Grunde ruht nun der
merkwürdige Brauch, daß man in einem Dorfvers die Beziehungen
der Höfe zueinander, den Grad ihrer Stellung, ihren Rang
gewissermaßen, ihre Lage zueinander u. ä. Verhältnisse in
humoristischer Weise ausdrückt. Die Verse sind oft handgreiflich
derb, darum auch nicht immer bekannt. Sie sind auch nur möglich,
weil sie gewissermaßen unpersönlich sind: Verse, in denen das
Dorf sich über sich selbst lustig macht, was bekanntlich
sonstigem tiefen Ernst angemessen und gesund ist. Wo immer
solche Verse vorhanden sind, kann man jedenfalls auf die
behandelte Sitte der Namengebung schließen. Wir wollen den
Dassendorfer Vers nicht anführen, bringen aber den Anfang des
Dorfverses von Fuhlenhagen als ein Beispiel:
Dei Buvag slacht'n Kalf,
Mart'nsbur kriegt dat Half,
Korl Stamer kriegt dat Viertel,
Kistenmaker weck ob'n Kittel,
Manognbur kriegt dat Blaut,
Manumkaten-ehr: "Dat is ok noch gaut!"
Stüv Jochen kriegt den'n Stiert,
Dei Discher seggt: "Dei is ok wat wiert".
- - - - - - -
Lüer kriegt dat Ingewee
un H '.. schürt sik den'n '.. intwee. |
Wir untersuchen nun die Frage, wieweit diese
Sitte der Namengebung auf den Höfen verbreitet ist. Kennt man
sie in Lauenburg
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allgemein? Die Frage ist zu verneinen. Sie ist nur in
bestimmten Dörfern vorhanden, aus denen wir nur noch Einzelnes erwähnen.
In KANKELAU finden wir (wohl als Nachfolger von Tytke 1517) im
Jahre 1525 Gerke Heine. Es blieb bis in unsere Tage ein Heine auf
der Stelle, die heute von dem Schwiegersohn des letzten Heine bewirtschaftet
wird. Das Haus heißt heute noch 'Gerkenhuis'. Das 'Kößhuis' geht auf Albert
Koster zurück (Vorgänger wohl Henneke Goetken 1517). Die Humpell
werden 1517 genannt. Das 'Röpshuis' geht auf Gerlych Röper (1517)
und dessen Nachkommen zurück.
In BORSTORF geht der 'Klasbue', jetzt Meyer, mindestens auf den früheren
Bauervogt Henning Clauß 1692 zurück, das 'Gimshuis' ebenso
mindestens bis aus den Joachim Burmester 1698 (heute Witwe
Burmester, 'Gimsmurrer' genannt). Der 'Meensbur' (heute Simann) hat schon
1596 einen Michel Mein (gespr. Meens) als Vorläufer, und ebenso der
'Beckersbur' (heute Michaelis), dessen Hausbalken von 1777 den
Namen Becker zeigt, hat 1596 einen Magnus Becker vor sich. Einen
Henning Hardekop gab es dort schon 1698. Das Haus (heute Hans
Hardekop) heißt nun 'Hargeshues'; 'dat is HARHGESBUR SIN'. Und das "Buvagshus"
(heute Schmaljohann, verheir. mit einer geb. Lüer) ist schon 1596
mit dem Bauervogt Timm 'Lüders' beseht. Auch der Name 'Schmaljohann' erscheint
schon 1596. Unter den Lüders (Lüers) gab es auch späterhin noch
Bauervögte.
Vollständig bestanden auch die Höfenamen in BRUNSTORF. Wir geben nur einige
Beleuchtungen. 1526 finden wir schon Gerke Brandenborg, noch
ebenso 1545, und wieder 1600 Jacob Brandenborg. Dann
verschwindet der Name. Ein Hof heißt aber heute noch 'Brans', und man kennt
'Brans Grete'. Ein anderer Hof heißt noch
'Öwerkamps'. Der Name 'Öwerkamp' ist von 1654-1748
festzustellen. Um 1600 war Henning Butte in Dassendorf Vollhufner,
und noch heute spricht man vom Buttsbur. 'Behnen' heißt die eine Stelle, und
'sei stammt ut Behnenhus' sagt man. 1526 wird Heine Benecke als
Hufner benannt, 1544 wieder, und später (bis 1725)
lebt Hans Benecke; dann verschwindet der Name unter den Besitzern, der Hof
bewahrt ihn. Und so zeigt die Untersuchung überall: die Personen vergehen, die
Familie geht in anderen Geschlechtern auf; der Stättenamen bleibt, die Scholle
ist ewig.
Kehren wir noch einmal in BREITENFELDE ein. Eine bunte Liste von 30
Höfenamen und noch ebenso vielen Katennamen wartet auf uns. Die Gesamtlösung muß
weiterer Forschung überlassen bleiben. Wir können uns mit einigen Aufklärungen
begnügen. Da ist 'Prüßmannshues'. Schon 1547 werden Bertelt
Prußeman und Hinrich Prußeman genannt. In demselben Jahre werden Lütke Brüggeman
(1545: Lütke Brinkman) und Claus Brüggeman genannt, auf welchen
letzteren der 'Claasbuer' wohl zurückgeht. Ebenfalls findet man 1547
Bernt Meiger und Beneke Meiger, und heute noch heißt es 'Mee(e)s- hues' und
'Mee(e)sbrei' (ein Flurname). Maties Lodwig erscheint auch 1547 (1557:
Lodings), und der Besitz heißt heute 'Lögenshus'. Die Stelle Koops, vorher
Burmester, ist das 'Hafmannshues', das auf
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Godert Hovemann 1564 zurückgehen muß. Aus
demselben Jahre haben wir auch Make Drewesch vor uns, und von ihm muß das
'Dreishues' stammen (Pächter Köhn). Der Besitzer ist der Dreisheinrich
[Siemers]. Dieser hat aber in das 'Kreugershus' hineingeheiratet. Die Stelle ist
eigentlich der 'Sass. Buvag' und erinnert uns daran, daß es in Breitenfelde
einen Sächsischen und einen Lübschen Bauervogt gegeben hat. Der 'Lübsch Buvag'
saß auf der Westphalschen Stelle, genannt 'Buweshues'. Das 'Ogenhues' geht auf
die Aues zurück. Asmus Aue wird der Aussprache gemäß in den Listen auch um
1700 etwa Ogge geschrieben. Peter Miljes ol. Harm M. 1691
hat 1698 Stoffer Gräper als Nachfolger. 1710 ist es
Franz Gräper. Das Haus heißt jetzt 'Beggamshues'; der Ursprung des Namens bleibt
noch aufzuklären. Diestels Erben haben das 'Remershues'; schon 1719
saß ein Reimers als Nachfolger von dem Bauervogt Hinrich Diestel OL. Stoffer
Diestel dort. Das 'Eegnhues' ruft die Erinnerung wach an einen merkwürdigen
Prozeß unter den Nachfolgern eines Egge, der 1777/80
zweimal die Königl. Kammer beschäftigte. Es handelte sich um die Frage, ob die
Regel "Längst Leib, längst Gut" auch stattfinde, wenn nichts Besonderes
verabredet sei. Und der Gutachter entschied, die Regel ergebe sich aus der
Gütergemeinschaft unter Eheleuten von selbst, und die Gütergemeinschaft finde in
der Regel statt und folge auch aus dem Sachsenrecht (Sachsenspiegel B.
I Art. 31), das im Herzogtum Lauenburg noch immer
(ergänzend) gültig sei.
Das Gebiet der Höfenamen umfaßt folgende Dörfer: Tramm, Kankelau, Talkau,
Fuhlenhagen, Elmenhorst, Sahms, Schretstaken, Gr. Pampau, Borstorf, Mühlenrade,
Kasseburg, Breitenfelde, Niendorf a. St., Dassendorf und Brunstorf. Das ergibt
zwei Gebiete, deren Feldmarken aneinanderstoßen, die also geschlossen sind. Ein
Bezirk, sehr charakteristisch, liegt südlich vom Sachsenwald, der andere größere
liegt nördlich vom Sachsenwald. Diese beiden Gebiete sind durch den
auseinandergesetzten Brauch scharf von ihrer Nachbarwelt geschieden, in der
keine Spur solcher Sitte vorhanden ist. Man muß also annehmen, daß die Besetzung
dieser Dörfer in der Kolonistenzeit aus einer bestimmten Gegend Deutschlands
gekommen ist, wo diese Sitte des beherrschenden Stättenamens in der
geschilderten Form bestand. Das Gebiet südlich des Sachsenwaldes umfaßt das
Kirchdorf Brunstorf und das zum Kirchspiel gehörige Dassendorf. Für
Kröppelshagen, das auch zu demselben Kirchspiel gehört, ist der Brauch des
Stättenamens nicht nachzuweisen. Da die Dorfanlage durch Umsiedelungen nach
Fahrendorf äußerst gestört ist, ist es doch sehr wohl möglich, daß der Brauch
auch hier früher bestand, und ich halte die Zugehörigkeit von Kröppelshagen aus
noch heute erkennbaren mundartlichen Verhältnissen heraus für wahrscheinlich.
Dann hätten wir diese Sachsenwaldparochie als eine Kolonisationsgruppe für sich.
Zu beachten ist auch, daß gerade diese Gruppe im Zehntenregister nicht erwähnt
ist. Der Scbluß, daß diese Sachsenwaldrundlinge nach 1230 erst
entstanden sind, würde mit unsern Betrachtungen zusammenstimmen.
Die andere Gruppe nordöstlich vom Sachsenwald sieht im Lichte des
Zehntenregisters besonders aus:
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A) Fuhlenhagen (m. deutsch. Namen) ist noch nicht genannt;
Borstorf (m. deutsch. Namen) ist später nachgetragen. Beide Dörfer entstammen
also der Zeit nach 1230 und dürften Gründungen 'van wilder
wortelen' sein.
B) Breitenfelde und Niendorf a. St. (beide mit deutsch. Namen) werden schon
genannt, sind also 1230 schon vorhanden,
C) Talkau, Kankelau (m. slav. Namen) und Elmenhorst (mit deutschem (!) Namen)
werden ausdrücklich als slavische Dörfer bezeichnet.
D) Pampau, Sahms, Tramm (alle drei mit slav. Namen) sind mit den drei vorigen
als solche Dörfer angegeben, in denen nach übeler Gewohnheit nur vier Scheffel
Weizen für die Hufe als Zehntenabgabe fallen.
Sieht man das Ganze an, so erkennt man alle Stufen des Übergangs: slavische
Gründung (c) - deutsches Rodungsdorf (a); ein mäßiger Slavenzehnt (c + d) -
volle Verzehntung (a + b). Das ganze Gebiet wird allmählich rassisch, kulturell
und wirtschaftlich gewandelt. Es wird deutsch. Und es will mir scheinen, als ob
man diese nacheinander angesetzten Siedelungstrecks noch in den feineren
Unterscheidungen des behandelten Brauches erkennen könnte.
Die Frage ist nun, wo der Brauch des Stättenamens seinen Ursprung hat und ob man
verschiedene Heimatsgebiete anzunehmen hat.
Es läßt sich natürlich nicht ohne weiteres sagen, aus welcher Gegend die Siedler
kamen. Man muß sich vor Augen halten, daß es solche Gebiete jenseits der Elbe
gibt. Mir ist ein solcher Bezirk aus der Gegend von TOSTEDT (Prov. Hannover)
geschildert, wo es alte Leute gegeben haben soll, die kaum wußten, wie
eigentlich ihr Name war, so vollständig war der Höfenamen in ihrem Bewußtsein
herrschend. Daß es auch in Lauenburg heute noch Leute gibt, die aus ihren
Kinderjahren sich nur der Stättenamen erinnern, also z. B. nur des 'Gimswillem',
und nicht wissen, wie eigentlich der Familienname des Spielkameraden war, ist
bezeugte Tatsache, wenn auch eine seltene. Fraglich bleibt jedoch, ob jener
Brauch nun in der Tosteder Gegend ursprünglich ist. Wir müssen - ohne eine
Entscheidung vorwegnehmen zu wollen - uns stärkstens daran erinnern, daß in
Westfalen in bestimmten Gebieten dieser Brauch in vollkommener Reinheit erhalten
ist. "Dat is de junge 'Brössels', aber he schrifft sik 'Plöger'." Das ist eine
Formel, die, dort ähnlich oft gehört, den Tatbestand umschreibt. Vielleicht
bringt eine genauere Untersuchung noch klare Einsicht in den Ursprung 9).
In Übereinstimmung mit
______________
9) Eine solche Untersuchung würde noch andere Momente zu
berücksichtigen haben, so u. a. die Bauverhältnisse. Heute gibt es
beispielsweise keinen 'Krüzboom' oder 'Flettboom' mehr. Bei Lehmann wird einer
in 'Hornbek' angeführt. Es handelt sich um den Ständer, der den Flettbalken
trägt, im Hannöverschen um den Ständer, der den Feuerrahmen (Rähm) über dem
freien Herd trägt. Aus unserm Gebiet bekundet eine alte Frau, das alte Lüershuis
in Talkau habe zwei solche Flettständer gehabt. Dieser Umstand verdient
Beachtung. Die Häuser hatten zwei Herde auf dem Flett, für den Besitzer und den
Altenteiler je einen, wohl daher 2 Flettständer (?). - Auch
volkskundliche Untersuchungen kommen in Frag«, mir will scheinen, solche über
Pfingst- und Osterbräuche. Erst aus dem Gesamtergebnis solcher Untersuchungen
sprachlicher, volkskundlicher, baulicher und anderer Art wird man bestimmte
Feststellungen machen können.
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mancher anderen Nachricht kann man dann an Siedlerzüge, an
Bauerntrecks denken, die aus dem südlicheren Niedersachsen kamen und hier in der
Kolonisationszeit eine neue 'bleibende Stätte' suchten. Und warum gerade hier?
Es wird sich um neue Rodung im Süden des Sachsenwaldgebiets gehandelt haben, um
eine Rodung, die den Sachsenwald von dem schwereren Boden des Altmoränenlandes
auf den leichteren Sander zurückdrängen sollte. Und weiter um eine Eroberung des
schwereren Bodens im Jungmoränengebiet, um einen Angriff auf das jungfräuliche
Gebiet nördlich vom Sandergebiet und nördlich vom heutigen Sachsenwald.
Natürlich kommt für einige Dörfer es darauf an, die primitive slavische
Wirtschaftsform in die hochwertige deutsche Ackerbaukultur zu überführen.
Was jene Siedler in schwerer Arbeit an deutschem Kulturboden geschaffen haben,
das vererbte unter ihrem Namen, das gab Söhnen und Enkeln den Grund ihres
Daseins. Wenn heute Stättenamen für die Erbhöfe wieder in Betracht gezogen
werden, so ist es hier angebracht, die alten Namen zu lebendigem Gebrauch wieder
aufzunehmen und dadurch den Ursprung des eigenen Seins zu ehren.
Verwandtschaftliche Beziehungen
zwischen den 16 Dorfeingesessenen eines Lauenburgischen Dorfes
im Jahre 1910.
V. = Vetter, N. = Neffe, O. = Onkel, T. = Tante,
Br. = Bruder, Schw. = Schwager, Halbbr. = Halbbruder.
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1935/1 - unpg.
Dassendorf: Besitzerliste nach den Geldheberegistern im Kieler Staatsarchiv
und nach den Gerichtsakten in Schwarzenbek.
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*
Fuhlenhagen: Besitzerliste aus den Geldheberegistern im Kieler
Staatsarchiv.
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Talkau: Besitzerliste nach den Geldheberegistern im Kieler Staatsarchiv.
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