Es ist in unserm Lande wie überall auf
germanischem Boden alter, geheiligter Brauch gewesen, am Maitag
Haus und Hof mit einem Birkenbaum oder -busch zu schmücken, als
dem Sinnbild des erwachenden Frühlings, des sich ewig
erneuernden Lebens. Dieses Maiensetzen wiederholte sich in
mannigfach gewandelter Form an verschiedenen festlichen Tagen
des Frühlings, besonders zur Pfingstzeit, wo auch die Kirchen
geschmückt wurden.
"Schon zur katholischen Zeit wurde
alljährlich zu Pfingsten und am Ansveri-Tage die (Dom-)Kirche
mit frischem Grün geschmückt. Damals war es Pflicht des
'kosters', der dann 'vor graß undt mai vo de kercken tom pingst'
drei Groschen verdiente. In evangelischer Zeit war es ein
Vorrecht der Ziethener Bauern. '3 Fuder Mai' wurden von mehreren
Mann angefahren, die durch einige Kannen Bier belohnt wurden
1)."
Was hier nach den Rechnungsbüchern vom Ratzeburger
Dom berichtet wird, erweist sich nach andern Kirchenrechnungen
als alte Sitte im ganzen Land.
Ein Haus ohne den Schmuck
des Maien war in unserer Landschaft nicht denkbar; selbst im
Kriege ward dieser Brauch nicht vergessen, wie mehrfach bezeugt
wird. So heißt es u. a.:
"Als 1676 fremde Soldateska in
Schwarzenbek vorm fürstlichen Haus in Quartier lag, wurden von
den Soldaten dort Maien gesetzt, wofür sie 2 Tonnen Bier
erhielten 2)."
Der Maibusch wurde nicht geholt; man ließ
ihn sich bringen, er wurde gebracht. "Der Mai wurde empfangen."
So ward es zum lustvollen Vorrecht des Jungvolks, morgens vor
Tau und Tag in den grünenden Wald hinauszuziehen, das Holz zu
hauen und den Mai zu setzen. Am HIMMELFAHRTSTAGE wurde der Busch
sogar spät abends vorher beschafft, in der Nacht auf dem
Rasen bewahrt und dann ani andern Tag aufgesteckt. Dann wanderte
dieser Busch auf die 'Hillen', wo er gehegt wurde, um seine
Segenskraft als Gewitterschutz zu bewähren. Er stammte von dem
hohen Donnerstag, dem Tage des Donar, das lebte noch in diesem
Brauch. Zu PFINGSTEN ward der Mai derart verschwenderisch
hereingeholt, daß die Landesherrschaft schließlich 1718 ein
Verbot erließ. Aus der Verordnung erfahren wir zugleich
Genaueres über die Sitte. Nach Klagen über die drohende
Holzverwüstung heißt es:
"Wann dann dazu nicht wenig zu
contribuiren scheinet, daß ZU ZWEYEN, AUCH WOHL MEHRMALEN im
Jahre große Partheyen MAYEN GEHAUN und in die Kirchen und
Häuser, auch vor diese gesetzet, weniger nicht GROSZE SOMMER-
UND LAUB-HÜTTEN davon unnütziger Weise gemachet werden, zumahln
dazu mehrentheils nur die jungen Stammhöltzer und Wippel ab- und
denen BIRKEN DAS HERTZ-BLATT AUSGEHAUEN und dadurch der fernere
Wachsthum benommen wird." Die Regierung verordnet dann weiter:
"So wollen Wir, daß hinkünftig NIEMAND, wer der auch sein möge,
sich GELÜSTEN
______________
1) Aus F. v. Notz,
'Der Dom zu Ratzeburg'. Heimatverlag Ratzeburg, o. J. S. 50.
2) Archiv des Vereins f. d. Gesch. des Herzogt. Lbg.
IV, 3 S. 90.
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LASSEN SOLLE, dergleichen Mayen zu obigem Ende, weder in Unsern,
noch Unserer Vasallen und Unterthanen Waldungen oder durch
Pfarr- und Gemeinde-Gehöltzen und Büschen ABZUHAUEN, ODER
ANDERN es zu VERSTATTEN, bei Zehen Thaler Straffe ... Worunter
Wir jedoch dasjenige, was zu pfleglicher und
ohnumbgänglicher nöthiger Nutzung des Haußwirths gebrauchet
wird, nicht verstehen." So ernstlich erstrebt die Regierung die
Durchführung ihres Verbots, daß sie verlangt, es solle den
Küstern und andern, die bisher den Mai um einige Groschen
besorgt hätten, aus dem Kirchenvermögen eines jeden Orts etwas
gegeben werden, damit sie keinen Schaden hätten. Wenn nicht, so
sollten es 'die Eigentümer der Waldungen tun, in denen vorhin
die Mayen ohnentgeltlich gehauen worden 3)'.
Das Volk
jedoch hing in seinem Herzen am Alten; es ließ sich seinen
Maibusch nicht nehmen. "Im ganzen Lande", so wird
1861
berichtet, "werden ZUM PFINGSTFEST die Häuser, ehemals desgl.
die Kirchen, in der Stadt Lauenburg auch die Schiffe mit
Maibusch (Birken) geschmückt." "AUCH AM MAITAG SELBST kommt die
Ausschmückung des Hauses noch mannigfach vor", heißt es
ebendann. "Im Dorf Hamfelde sah ich am MAITAG auch die Kinder
Maibüsche in der Hand tragen 4)." Das Bild der Kinder, die den
Frühling fest in ihren Fäusten hielten, mochte dem Beobachter
wohl immer in Erinnerung bleiben. Und heute noch kann man aus
dem Munde der Alten hören, wie groß die Sommerlust gewesen, wenn
sie als Jungen am Tage vor Pfingsten in aller Herrgottsfrühe mit
ausrücken durften, um das Maienlaub zu holen, das eigentlich vor
Sonnenaufgang gehauen sein sollte. Das halbe Dorf war mit
einigen Wagen unterwegs. Sicherlich war dabei auch eine geheime
Vorfreude im Spiel, wenn man an die dachte, denen der Busch
bestimmt war. Es wird ebenso ehemals ein schöner Brauch gewesen
sein, daß man dem bevorzugten Mädchen einen besondern Mai
setzte. Das Hauptziel war dann aber, die gemeinsame Pfingsthütte
oder Laube, die Löw, zu bauen, oft nahe einem Baum, unter dem
getanzt werden konnte, wenn nicht anders auf freiem Feld oder an
einem Wege. Mancherorts bekamen die einzelnen Höfe nicht bloß
einen Busch, sondern eine kleine Laube. So sagte ein Alter, sie
hätten beim Umzug alle einzelnen Pingsheeße abgeklappert 5).
Überblickt man das Brauchtum des Maiensetzens in Lauenburg,
so findet man nichts oder nichts mehr bekannt, daß ein
gemeinsamer Waibaum in den Dörfern gesetzt wuroe. Für unsere
Landschaft erweist sich die Pfingsthütte, .Sommerhütte' als die
bezeichnende Gemeinschaftsform, und sie ist der Mittelpunkt des
Festes, das danach schlichtweg Pfingstheesch heißt.
_______________
3) Lauenburg. Verordnungssammlung 1866.
V, 1 S. 274. Solche Verbote gab es ebenso in andern
Landschaften. Auch der große Friedrich erließ 1747 ein
Verbot gegen das Maiensetzen. 4) Jahrbücher für die
Landeskunde der Herzogtümer Schl., H. u. Lbg. Kiel 1861. S.
178/179. 5) 'Heeß' nannte man zunächst Wohl den grünen Busch.
Dann hieß auch das ganze Fest Pingstheesch (-heisch). An einigen
Stellen ist der Name auch an der betreffenden Flur haften
geblieben. So lautet die übliche Auslegung. Es bleibt aber zu
beachten, daß 'Heese' - Busch bei uns mit gedehntem offenem
gesprochen wird. Man möchte, wenn man die verschiedenen
Brauchtumsformen des Festes durchgeht, immer wieder an 'eeschen'
- 'heischen' denken. Westfälisch: 'Ik eesche de Brut!' bei
Hochzeiten gebräuchlich.
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Die Hagelfeier.
Bevor wir das eben genannte Fest näher
erkunden, haben wir noch ein andres altes Brauchtum ins Auge zu
fassen. Unser Land hatte bis vor kurzem eine kirchliche
Hagelfeier. Als Termin galt seit 1769 der 1. Mai. Ursprünglich
hatte die alte Kirchenordnung von 1585 6) den nächsten Freitag
nach Kantate dafür bestimmt.
Aus dieser Ordnung geht auch
hervor, daß es sich um ein Erntebittfest handelte, an dem in
innerer Einkehr und mit Dank im Herzen Gott angerufen werden
sollte, er möge die Früchte des Landes reichlich wachsen lassen
und 'nicht wiederumb vor dem Munde wegnehmen', daß nicht Teurnng
und harte Zeiten kämen. Zu solcher 'Hagelfeyer' sollte des
Morgens 'vor halbwege Sechsen' mit großem Geläut jung und alt
zur Kirche in die Predigt gefordert werden. Als Grund für die
Einrichtung des besondern Tages galt die Erfahrung, daß Gott 'zu
mehrmalen durch unzeitigen Hagel und Ungewitter das liebe
Getreide und Korn, wenn es zu gutem, fröhlichem Wachstum
allbereit gekommen ist, dennoch jämmerlichen zerschlüget in
billigem Zorn wegen unserer Undankbarkeit'. Den Bußernst des
Tages pflegte die Kirche auch durch die Erteilung des heiligen
Abendmahls zu vertiefen, und man konnte bei uns noch vor wenigen
Jahren dörfliche Gemeinden nach der Feier im dunkeln
Abendmahlsanzug still und würdig von der Kirche daherschreiten
sehen.
Solche Hagelpredigten fanden in den
niedersächsischen Landschaften fast überall statt, oft so, daß
die Feiern sich bis zur Ernte wöchentlich wiederholten, und zwar
zumeist am Freitag. Es lief sogar ein Spruch um, der die
einzelnen Wochentage kennzeichnete und dabei vom Freitag sagte:
"Un Fridag, denn is Hagelfier." Diese Predigten müssen sich aus
der katholischen Zeit herleiten. Man kennt noch heute im
katholischen Gebiet die 'Schauermessen'. Das sind Erntemessen,
die mit Flurumzügen, Bittgängen und Gelübden in Verbindung
stehen, deren Ziel Erbittung guter Ernte und fruchtbaren Wetters
ist. Insbesondere wird Gottes Hilfe zur Abwendung des
Hagelwetters (und auch wohl des Hagelzaubers) erfleht. Wenn
unsere Kirche 1585, also fünfzig Jahre nach der Einführung der
Reformation, noch die 'ABGÖTTISCHE BETEFAHRT, ZULAUFF UND
VERLOBUNG GEGEN DER BÜCHEN' gänzlich verbietet und mit Strafe
bedroht, so ersieht man, daß auch bei uns solche Prozessionen
und Gelübde bestanden haben. Sie begnügten sich oft nicht mit
der Umschreitung der eigenen Dorfflur, sondern sie führten auch
in andere Kirchen, wie es hier nach Büchen geschah zum berühmten
und wunderkräftigen Marienbild.
Die kirchlichen Bräuche
werden bei uns ihre Zeit in der Woche vor Himmelfahrt gehabt
haben. Unsere Landeskirche gestaltete sie zu jener
protestantischen Hagelfeier um, die nun sechs Tage vor
Himmelfahrt begangen wurde. _______________
6)
Lauenbg. V.-Sammlg. 1866. Bd. II. (Neudruck der Kirchenordnung.)
Daß bis 1769 der 1. Mai noch in keiner Weise kirchlicher
Feiertag war, daß er sich noch keiner kirchlichen Ordnung hatte
einfügen lassen können, beweist, wie tief immer noch das Ansehen
dieses echt heidnischen Tages im Bewußtsein des Volks lebte.
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An sich wäre ein andrer Ausgang möglich gewesen. Es wurden
nämlich mancherorts die Hagelfeiern als heidnischer, teuflischer
Unfug verboten. Gerade diese Verbote geben uns mehr Einblick. So
verlangten die Prediger in Celle - allerdings ohne Erfolg - in
den Lüneburger Artikeln von 1327 unter dem Titel 'Van der
Hagelvyre':
"Andere feste schollen afgedaon wesen,
sunderliken de, der sick der gemene Bursman bruket, alse
hylligen Drachte, Hagelvyre, Keese etent - -, darynne nicht
gerynge teken des ungelouens gespörth werden 7)."
'Hillige Drachten' nannte man Umzüge durch Felder und Korn mit
dem Kreuz oder dem Abbild des Patrons der Kirche in der Kreuz-
oder Bittwache vor Himmelfahrt. Es war eben das, was unsere
Kirche als 'Betefahrt' kannte und bezeichnete.
Wie ein
solcher Zug an einem 'biddeldage DRE DAGE VOR DER HEMMELVART
unses leven Heren' aussah, zeigt das LÜBECKER PASSIONAL. Danach
trug man das Kreuz und die Fahnen, läutete die Glocken 'unde in
etlichen Kerken drecht men EYNEN DRAKEN mit einem groten sterte
unde men ropet de hülpe aller hillighen'. Solche Züge endeten
oft mit Gelagen und Verspottungen des Drachenhaupts 'YM KROGE'.
Das muß man wissen, wenn man den Heischeumzug mit dem Schädel
bei uns in den verschiedenen Beziehungen richtig einschätzen
will. (S. w. u.)
Das Käse-Essen muß man auch bei uns
gehabt haben. Ein Einwohner von Sahms, mit dem ich mich über die
Ballspiele am Stillfreitagnachmittag unterhielt, sagte mir -
ganz von sich aus -, er kenne den Namen 'Keesköst' dafür. Er
konnte dann allerdings nichts weiter und nichts Genaueres mehr
dazu sagen 8). Im Wesen des Spiels liegt nichts, was den Namen
'Keesköst* rechtfertigen könnte. Er wird von dem Fest
herrühren, bei dem das Spiel zum Brauch gehörte, von einer
Käsefeier also. In katholischen Gegenden kennt man Käsewochen,
Käsesamstage u. dgl. Dabei muß man sich erinnern, daß der Käse
als geweihter Bissen, als Entsühnungsmittel und als Fastenspeise
kirchlich bekannt und wohl als geweihte Speise schon aus
germanischer Zeit übernommen ist. Für unsere Landschaft werden
die Zusammenhänge nicht genauer zu ermitteln sein; aber man wird
nicht fehlgehen _______________
7) Richter, Evang.
Kirchenordnungen 1, 71. Zitiert bei Pfannenschmid, German.
Erntefeste im heidn. u. christl. Cultus mit bes. Beziehung auf
Niedersachsen. Hannover 1878. S. 65. (Der
II. Abschn. dieses
Werkes ist lehrreich und mir sehr förderlich gewesen.) 8) Die
Besprechung war ganz anders gerichtet. Der Mitunterredner hatte
keinerlei Kenntnis über den etwaigen Zusammenhang der Sache. Die
Nachricht kann nicht irren. - Die ERWACHSENEN spielten am
Stillfreitag Puttball, namentlich aber RECHBALL (e gespr. wie in
Recht). Dieses Spiel war unserm Schlagball ähnlich. Sein Reiz
lag darin, daß es ein Zweiparteienspiel war. Die weibliche
Jugend spielte mit. - Das KEESKÖST genannte Spiel hatte keine
feste Anzahl von Spielern. Jederzeit konnte einer abtreten, dann
rückte sein Hintermann vor, und jederzeit konnte ein
Hinzutretender sich hinten anschliehen. Daher war eine
Unterbrechung des Spiels in jedem Augenblick auf beliebige Zeit
möglich. Diese Möglichkeit machte das Spiel für eine ganze
Spielzeit geeignet, für eine ganze Festzeit oder
Spielperiode. Die Spieler drinnen schlugen den Ball und liefen
zum Mal. Wer dabei abgeworfen wurde, mußte sich draußen hinten
anschließen. Der Sieger kam ins Mal, wenn er nicht vorher
abgeworfen wurde. Wurde ein Ball gefangen, so tauschten Fänger
und Schläger ihren Platz. - Es ist selbstverständlich, daß
das Spiel nur deshalb an dem hohen Feiertag stattfinden konnte,
weil es aus alter Zeit als alter, heiliger Festbrauch übernommen
war. Der Sinn ist hier nicht zu erörtern.
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Der Gudower Pfingstkönig 1938.
Pfingsthütte in Poggensee
1938.
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1938/1 - unp.
Lauenburgisches Jungmädchen zwischen zwei Tänzen.
Blick
aus der laubüberdachten, lichtdurchrieselten Hütte
auf die
sonnenbeschienene freie Tanzfläche.
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in der Annahme, daß das zum Kinderspiel gewordene Ballwerfen
noch in seinem Namen die Erinnerung an Frühlingsfeste mit
solchem geweihten Essen oder solchem Fastenessen bewahrt.
Zum Gesamtfest, das HagelVYRE genannt wurde, gehörte nun
auch das eigentliche 'Hagelvyre', d. i. Hagelfeuer. Um FEUER
handelt es sich, was wir deutlich aus dem Verbot in Leiningen
von 1566 ersehen, wo in einem Atem abgeschafft werden: "Mayen
stecken, Hagel baum brennen, Johans fewer machen und darüber
springen 9)." Man brannte demnach Bäume an, durchsprang die
lodernden Flammen, sich zu reinigen, suchte von den angekohlten
Zweigen zu erhaschen, die man daheim in die Acker steckte
oder vollends verbrannte, um die Asche über die Felder zu
streuen - alles zur Erhöhung der Fruchtbarkeit. Dieses Feuer gab
dem ganzen Tag seinen Namen 'Hagelvyre'.
Noch mancher
andere Brauch, Brunnenweihe u. ä., mag bei den Umgängen und bei
der Hagelfeier bestanden haben.
Das alles war auch einmal
bei uns so, sonst hätten die gelehrten Verfasser unserer guten
Kirchenordnung sich 1383 nicht genötigt gefunden, das Fest
gleichzuschalten und dabei den verpönten Namen beizubehalten,
wobei sie ihn in der einseitigen Bedeutung als FEIER anwandten:
Hagelfeier. Unsere Bauern nahmen das Fest sehr ernst.
Wir
könnten unsere Betrachtung zur Hagelfeier hier abschließen, wenn
es nicht besondern Wert für uns hätte, etwas über die Vorstufen
der Bittfahrten zu erfahren.
Da finden wir, daß schon
743
in dem 'Anzeiger heidnischer und abergläubischer Gebräuche', von
den 'Gebilden' geredet wird, die sie über die Felder tragen. Man
deutet diese Gebilde als Sinnbilder religiösen Gehalts
(Sonnensinnbilder, Sinnbilder der Opfertiere, Pflüge, Rüllstöcke
10) und Sinnbilder der Götter selbst). Die letzteren waren dann
nach der Sitte mit weißem Gewande verhüllt 11). Jener Anzeiger
der verbotenen Gebräuche spricht auch von den 'Häuschen', die
Götterhütten genannt werden. Wurden diese Hütten dort verboten,
so sollten seit Gregor d. Gr. andrerseits Hütten um die Kirchen
bei den Kirchweihen und Heiligenfesten auch für die Festschmäuse
gerne gestattet sein
Zu Zeiten Karls des Großen finden
wir, daß die drei Tage vor Himmelfahrt Tage der Rogationen, 'der
Bittgänge', geworden waren. Bei diesen waren ausdrücklich Spiele
und Pferderitte verboten. Man hatte vorher demnach solche
Flurumgänge mit feierlichen Spielen begangen. Es entsprach
jedoch nicht mehr den christlichen Empfindungen der Zeit 12).
Im Jahre 940 gründete eine fromme Sächsin Marcsuith bei
Bielefeld das Kloster Schildesche. Sie erhielt auch durch den
Papst Reliquien Joh. des Täufers. Als Äbtissin des Klosters gab
sie nun
_______________
9) Pfannenschmid, a. a. O.
S. 68. 10) Vgl. w. unten: Rüllstock.
11) Jak. Grimm,
Deutsche Mythologie 1854. S. 96 Anm. Aus der Lebensbeschreibung
des heil. Martin (vor 410): SIMULACRA DAEMONUM CANDIDO TECTA
VELAMINE. 12) Die Umzüge sollten geschehen NON IN JOCO, NEC
CABALLICANDO. Das Kapitular ist angeführt b. Pfannenschmid, a a.
O. S. 357.
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folgende Verordnung 13), die ein aufschlußreiches Beispiel der
Verchristlichung unserer germanischen Bräuche darstellt:
Wir verordnen, daß ihr jährlich am zweiten Pfingsttage unter dem
Beistände des h. Geistes den Patron (der Klosterkirche) in euren
Parochien in langem Umgang herumtragt, daß ihr eure Häuser
entsühnt *, daß ihr euch STATT DES HEIDNISCHEN FLURUMGANGES
**
unter Tränen und Demut selbst opfert und zur Erquickung der
Armen Almosen zusammenbringt. Auf dem Klosterhofe sollt ihr nun
übernachten und über den Reliquien feierliche Wache halten und
Gesänge singen, sodaß ihr am besagten Tage frühmorgens den von
euch beschlossenen Umgang durch fromme Fahrt *** beendet und mit
schuldiger Ehrerweisung den Patron und die Reliquien zum Kloster
zurückbringt. Ich hege aber zu der Barmherzigkeit desselben
Patrons das Vertrauen, daß so wegen dieses Umganges **** die
Saaten der Felder reichlicher gedeihen und die Unbilden der
Witterung weichen werden.
*) DOMOS LUSTRANTES.
**) PRO GENTILICO AMBARVALLI. ***) PIA LUSTRATIONE.
****)
AB EO GYRADE (Grimm a. a. O. S. 1202).
Fragen wir uns
nun, welches Bild der frommen Stifterin vor der Seele gestanden
haben müsse, als sie, wie sie selber sagt, den Flurumzug
christlich umgestaltete, so können wir die edle Frau mit den
Worten ihrer Verordnung selber sprechen lassen. Sie würde etwa
sagen:
Meine sächsischen Landsleute - immer noch
heidnisch - führen am zweiten Pfingsttage in aller Seligkeit des
Lenzfriedens ihre altheiligen Bilder, von weiß verhüllten
Gestalten getragen, vor sich einher. Sie entsühnen ihre Häuser
mit dem Wasser des Frühlings, sie sammeln und geben mit Stolz
zum gemeinschaftlichen Opfermahle. Sie feiern die Nacht hindurch
bei ihrer Festhütte mit Singen und Reigen, sodaß sie am dritten
Festmorgen, wie beschlossen, ihren Umgang durch die Felder mit
heidnisch-frommem Tun beenden und dann ihre Bilder wieder mit
schuldiger Ehrerbietung auf die heiligen Bäume stecken und zu
der Hütte zurückbringen. Sie haben aber das Vertrauen zu ihren
Göttern, daß so wegen dieses Umzugs die Saaten der Felder
reichlicher gedeihen und die Unbilden der Witterung weichen
werden. "Und in diesem Glauben", könnte sie seufzend
hinzugesetzt haben, "bestärken sie sich durch ihre wilden Spiele
und ihre Pferderennen." Das hat noch der letzte Donarstag
gezeigt, den wir die Auffahrt nennen.
Im weiteren Verlauf
wird sich ergeben, wieweit der bisher gegebene Rückblick uns bei
der Erklärung unseres Festbrauchtums dienen kann.
*
Jedenfalls konnten wir feststellen, daß auch in unserer
Landschaft bis zur Neuzeit Flurumgänge, Hagelfeuer und dahin
gehörige Bräuche im Frühling geübt wurden zur Sicherung des
göttlichen Segens für die Flur. Dieses Brauchtum und seine
Vorstufen dürfen und müssen wir zur Deutung der Bräuche der
neueren Zeit heranziehen.
DER PFINGSTHEESCH.
Die
Pfingstkoppel.
Die älteste Nachricht über den
PINGSTHEESCH, hochdeutsch Pfingstbier genannt, gibt ein
Ausschreiben der Lauenburgischen Regierung von 1696:
"Als
wir auch vernehmen, daß die Bauersleute auf dem Lande VON OSTERN
BIS PFINGSTEN GEWISSE STÜCKE AUF DER GEMEINEN WEIDE
_______________
13) Grimm a. a. O. S.
1202 bringt den
Urkundentext und weist auf die Ähnlichkeiten der Maigänge und
Grenzberitte mit den heidnischen hin. Auch bei
Pfannenschmid: Text und Übersetzung. Bei ihm auch der erste
Versuch einer Rückschaltung, den andere nachgeahmt haben.
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MIT STRÄUCHEN BESTECKEN und hegen, und zwar zu dem Ende, daß die
Bauerknechte und Jungens das Pfingstfest über ihre Pferde können
zusammenhalten, und dem Gesöffe und andern bösen Leben desto
besser obliegen, indem sie in einer AUF DEM FELDE AUFGEBAUTEN
LAUBE etliche Tonnen Bier auflegen, Spielleute dazu nehmen,
dabey ALTE UND JUNGE mit SAUFEN, TANZEN UND SPIELEN und
dergleichen, VOM ERSTEN BIS ZUM LETZTEN PFINGSTTAGE anhalten,
wobey nicht allein viel Böses vorgehet, sondern auch das heilige
Pfingstfest entheiliget wird, und Wir dergleichen böses
Vornehmen gleichfalls abgestattet wissen wollen; so befehlen,
nomine Serenissimorum, Unserer gnädigster Herren euch hiemit,
die Anstalt zu verfügen, damit SOLCHES HEIDNISCHE WESEN
GLEICHERGESTALT EINGESTELLET, und die Widerspänstigen entweder
mit GEFÄNGNISZ oder mit GELDSTRAFEN beleget werden mögen 14)."
Das Abstecken eines besondern Feldstückes aus der
Gemeinweide, an der alle Anteil hatten, geschah demnach schon zu
Ostern, und zwar, wie ausdrücklich gesagt wird, durch die Bauern
selbst. Das war eine Handlung, die alle anging, eine Handlung
der Gemeinde, die selbstverständlich sinn- und bedeutungsvoll
und nicht ohne Formen war. Schon das Abstecken mit Stäben oder
Zweigen deutet auf Hagelfeuerzweige u. ä., wodurch das Land vor
Unwetter und Schaden bewahrt werden sollte. Es wird daher gut
sein, zum Verständnis des Ganzen nach ähnlichen Verhältnissen an
andern Orten auszuschauen.
Wossidlo kennt aus der Mitte
des vorigen Jahrhunderts denselben Brauch im SCHWERINER LAND.
Mitten auf dem abgesteckten Platz wurde dort eine große Tanne
eingepflanzt, und dann pritschten die Hütejungen eine Lehmdiele
für das kommende Fest, bei dem Bierkaltschale, an Tischen aus
Grassoden genossen, herkömmliches Gericht war 15). Nach der
Darstellung von Grimm war auch im DRÖMLING ein Platzabstecken
üblich. Dort stand ebenfalls in der Mitte ein Baum, den die
jüngsten Knechte mit Knochen bestecken mußten; die Spitze wurde
mit einem Pferdeschädel geziert. Wenn dies geschehen, nannten
die kleineren den größeren Knechten ihre Braut, und keiner
durfte den Namen bis auf Pfingsten kundtun 16). Darin mochte
sich noch eine Spur vom alten 'Mailehen' zeigen, von der Weise,
wie man ehemals durch Wahl Maipaare - in sinnbildlichem Zusammen
- für die festliche Zeit bildete. Wahrscheinlicher bestimmte die
Nennung nur darüber, welchem bevorzugten Mädchen von dem
einen und andern der Pfingst gebracht werden sollte. Mag die Kür
der Mädchen auch bei uns gewesen sein - man darf es schon
annehmen -, so weiß man doch nichts mehr darüber.
Der
Schädelbaum aber, der auf einen heidnischen Opferbrauch deutet,
war hier bekannt. Ihn kann die Verordnung im Auge haben, wenn
sie von heidnischem Wesen spricht. Das erweist sich noch
deutlicher, wenn wir eine Schilderung des Festes lesen, die auf
etwa 1830 zurückgeht und sich glücklich erhalten hat. Pastor
Gurlitt-Billwärder erzählte 1861 aus seiner Jugend:
In
meiner Knabenzeit pflegten alljährlich am zweiten Pfingsttage
die Knechte in ALLEN LAUENBURGISCHEN DÖRFERN ein Tanzvergnügen
zu veranstalten, welches im Freien unter einer LAUBHÜTTE
stattfand und die Nacht
_______________
14) Lbg.
Verordngssammlg. 1866. I, S. 169.
15) Mecklenburg. Ein
Heimatbuch. Wismar 1925. S. 205 f.
16) J. Grimm. Deutsche
Mythologie 1854. S. 746 ff.
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hindurch bis zum nächsten Morgen dauerte. ZUM SCHLUSZ zog die
ganze Schar der Knechte mit Musik durch das Dorf und machte vor
jedem Hause Halt, um sich Brot, Eier, Wurst und Speck zu
erbitten, wovon nachher ein GEMEINSCHAFTLICHES MAHL zugerichtet
wurde. Die Hauptfigur in diesem Zuge aber war jedesmal EINER DER
KNECHTE, WELCHER AUF EINER STANGE DEN SCHÄDEL EINES PFERDES
TRUG, UNTER WELCHEM EIN WEISZES LAKEN BEFESTIGT war, das den
Träger der Stange verhüllte. Ein zweiter Knecht ging nebenan und
führte den so Verhüllten an einem Stricke 17).
Man hat
die Hauptgestalt des Umzuges, den Schädelträger im weißen Laken,
wiederholt auf den Schimmelreiter gedeutet. Im Zusammenhang
unserer Betrachtungen läßt sich jedoch annehmen, daß auch auf
unsern Pfingstplätzen draußen einst ein Pferdeschädel auf einem
Baum steckte. Was er einmal bedeutet hatte, wußte niemand mehr;
aber immer noch blieb er das alte Zeichen. Das gehörte sich so,
war immer so gewesen. Der gebleichte Schädel verkündete den
Festfrieden und verbot alle 'Unlust'. Am Festtage wurde er darum
als Wahrzeichen im Zuge hoch einhergetragen. Und nach ähnlichen
Gebräuchen bei andern Festen zu schließen, wurde der Schädel
beim Abschluß des Festes unter herkömmlichen Formen eingegraben.
Im nächsten Jahr stand er dann abermals über dem gebannten Platz
18). Daß am Morgen nach dem Fest auch bei uns noch etwas
Besonderes geschah, zeigt sich heute darin, daß beim Abbrechen
der Pfingsthütte und beim Abliefern aller Geräte am letzten Tag
die Musik voll mit durchhalten muß. Längst vergessen aber war
jene allerfrüheste Zeit, wo der Pferdeschädel das aufgesteckte
Haupt des Opfertieres war, das von dem weiß verhüllten Priester
als Zeichen in dem Umzug getragen wurde.
Reiterspiele.
Das Pfingstbier dauerte die drei Pfingsttage hindurch an.
Bis 1769 hatte unsere Landeskirche an den drei hohen Zeiten
jedesmal drei Sonntage mit festlichen Gottesdiensten 19).
Unbekümmert um die heilige Zeit, gab man sich draußen dem
Lenzesfrieden und der Sommerfreude spielend und trinkend hin.
Niemand aber wird denken, daß die drei Tage in sinnlosem Taumel
verbracht wären. Das Fest hatte selbstverständlich seine
althergebrachte sinnvolle Ordnung. Nur ist es schwer, die
Einzelheiten mit einiger Sicherheit festzustellen, da der
Pfingstheesch zu sehr durch behördliche Eingriffe zerstört ist.
Sprechen wir von den Spielen!
Die Verordnung redet
von der Ansammlung der Pferde. Die dort gegebene Begründung ist
natürlich von außen gesehen und abwegig. Die Jungen wußten wohl
nur, daß man es immer so gemacht hatte. Sie konnten nicht
wissen, daß man ehemals dort die Pferde zu den Kampfspielen
bereithielt. Das Reiten durch die Flur, das Wett-
_______________
17) Jahrb. IV
1861. S. 283. 18) Das
Wahrzeichen blieb ähnlich aufgerichtet wie die Marktfahne über
dem Markt. - Das Eingraben war bei vielen Festen üblich: beim
'Johannich', bei Kirchweihen u. ä. Festen. In Westfalen wurde
auch die Hochzeit eingegraben. Nachrichten darüber in den
versch. Volkskunden. 19) Der dritte Sonntag heißt seit seiner
Absetzung durch die Behörde 'Afsetteldag', gilt in den ehem.
Lübecker Dörfern immer noch als Sonntag.
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reiten nach dem Dorf, Reiterspiele und schließlich ein
Ringstechen um die Königswürde waren einmal selbstverständliche
Übung und Darstellung jugendlicher Kraft im Fest gewesen. Und an
vielen Stellen findet man noch heute am zweiten Pfingsttag oder
am 'Lütten Pingsten' (Sonntag nach dem Fest) ein solches
Bäuernturnier als Rest des ehemaligen Pfingstheesches. Dabei
darf vermerkt werden, daß manche bei uns sagen, eigentlich
gehöre das Reiten schon auf den Himmelfahrtstag, wenn auch
längst allgemein die Zeit um Pfingsten die übliche geworden ist.
Diermissen berichtet 1861:
Auf Gülzow und andern lbg.
RITTERGÜTERN wird noch alljährlich um PFINGSTEN ein
Knechtereiten gehalten, wobei die Bauersknechte in kurzen blauen
Jacken mit bunten Sträußen geschmückt sind und die Mähnen und
Schweife der Pferde mit bunten Bändern durchflochten 20).
Bei diesem Rennen wird oft das Ende der Bahn so gebaut, daß
sie vor dm Ziel zwischen zwei Laubwände führt, die am Schluß
in der Höhe grün überdacht sind, als ob es eine Hütte wäre.
Darin hängt oben der Ring oder der Kranz, je nachdem es sich um
ein Ring- oder Kranzstechen handelt.
Die älteste
Erwähnung eines solchen Rennspiels ist vielleicht eine Anmerkung
in Schwarzenbeker Kontributionsrechnungen folgenden Wortlauts:
24. Mai 1674: 40 Sch. haben
5 Musketiere zu Wentorf
vertrunken, als solche nebenst dem Korporale dahin geschicket,
um den Duel - Romor - und Blumen uf hiesiger Grenzen nicht
auszuführen verwehren helfen 21).
Nach der Osterformel
errechnet sich der 24. Mai 74 als Sonnabend nach Pfingsten. Es
handelt sich also um 'Lütten Pingsten', wo das Reiten üblich
war. Wäre es ein solches Turnierreiten, so möchte man sich eine
ältere Form vorstellen, das sog. Fahnenjagen, das meist zwei
Tage dauerte. Es ist ostfälischen Ursprungs: ein festliches
Wettreiten um die Fahne als Preis. Die Mädchen sitzen auf dem
geschmückten Festwagen als Zuschauer mit der Fahne in ihrer
Mitte. Die formelhaften Ansprachen enthalten ERMAHNUNG ZUR
EINTRACHT und lassen gesteigertes Interesse an dem Wettbewerb
erkennen. Die Deutung obiger Stelle bleibt jedoch unsicher.
Es fragt sich, was das Wort 'Blumen' bedeutet. Es kann sich
um die hochd. Wiedergabe eines plattd. Ausdrucks 'Blumen'
handeln im Sinne von 'Streit'. ("Dor sünd Bloomen twischen" =
Streit.) Dann würde 'Duel - Romor - und Blumen' soviel sagen wie
'Zweikampf-Lärm und -Streit'. Dabei müßte man an ein
Kronenstechen denken, ein Turnier mit stumpfen Lanzen, bei dem
eine Gestalt, in Laub und Blumen gewandet, eine andere mit Moos
und Stroh bekleidete bekämpft und besiegt - und besiegen muß;
denn es soll der Wettstreit des Sommers mit dem Winter
dargestellt werden. Der Kampf wurde oft auch von zwei
REITERGRUPPEN dargestellt und mußte dauern, bis der Sommer
gewonnen hatte 'mit großem Geprahle'. Auf solche Weise wurden
auch Maigrafschaften ausgetragen. Und die muß es nach andrer
Nachricht in Lauenburg gegeben haben. Wie
_______________
20) Jahrbücher IV, S. 181.
21) Archiv d. V. f. d. G. d.
H. Lbg IV, 3 S. 90.
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anderswo, müssen sie hier wohl früh verboten worden sein 22).
Verbotene Feste wurden oft verschoben, am andern Ort oder zu
andrer Zeit abgehalten. So mag das 'Duel' in Wentorf die letzte
Spur einer Maigrafschaft sein. Auch der Flurname 'Blaumenort,
Blumenort' bei Elmenhorst mag auf einen solchen 'Blumen' d. h.
Streit deuten, auf ein Turnier um einen Mai- oder Blumengrafen.
Irgendwie wurde also immer ein König gekoren. Beim Pfingstheesch
geschah es schließlich immer durch Ringreiten. Das
traditionsreichste Reiterfest war vielleicht dasjenige in Gudow,
dessen beide Fähnlein noch auf einen alten Gruppenkampf zwischen
Sommer und Winter deuten.
Phot. Hamann, Aumühle. Das 112 Jahre alte,
silberbeschlagene und ausgenähte Koller des Pfingstkönigs.
Das Ringreiten in Gudow.
Die Gudower erzählen gern
von ihrem Pfingstfest. Es sah die Knechte aus dem Dorf und vom
Gut und die jungen Bauernsöhne in schönster Eintracht. Schon
geraume Zeit vorher versammelten sich die 'Pfingstknechte' im
Dorfkrug um ihren alten König. Er hatte das
_______________
22) Die Braunschweig. Landesordnung
1647
gibt das Beispiel eines Verbotes auf ostfäl. Boden: "Die
Pfingst-, Fastnachts-, wie auch Sonntags- und andere Gelage,
dabei Knechte und Mägde zusammen zu kommen und Tänze zu halten
pflegen in den Häusern oder auf den Ängern, ingl. auch die
Osterfeuer neben den dabei gebräuchlichen GRÄFESCHAFTEN
sollen ganz und gar abgeschaffet sein." (Auch die Verlegung auf
Pfingsten wird verboten.) Für Lauenburg ist eine solche
Verordnung nicht bekannt. SIE LIEGT ABER DURCHAUS IM ZUGE
UNSERER ÜBRIGEN VERORDNUNGEN.
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'Sagen' und ordnete mit ihnen das Nötige. Sie stellten die
Reihenfolge der Reiter auf, hielten Ausschau nach jungen, neu
aufzunehmenden Leuten, besprachen die Kasse und die Vorarbeiten
und feierten auch schon ein wenig.
Am Pfingstsonnabend
wurde dann der erforderliche Busch herangeholt und die Reitbahn
hergerichtet. Wußte man auch noch, daß sie früher auf
verschiedenen Stellen in der Flur gewechselt hatte, so war es
doch schon seit langem üblich, sie auf der alten (gemeindlichen)
Viehtrift zum See anzulegen. Sie führt mitten durch die
herrliche Gutswaldung, deren riesige, altersgraue Eichen den
feierlichsten Hintergrund für das Kampfspiel geben. Dort stellte
man den Galgen mit dem Ring als Ziel auf und schränkte die
letzten 20 Meter der Bahn mit Laubwänden ein. Zur Seite des
Weges geht unter den hohen Bänmen ein Fußpfad. Der wurde als
Bahn für das Trudeln der Mädchen gesäubert und geebnet. An einer
andern Stelle des Parkes, näher dem Dorfe, lag im Kranze hoher
Eichen der 'Pfingstplatz'. Unter den Bäumen ward die Laubhütte
aufgebaut und grün überdacht. Zur Seite baute man einen mit
Laken geschützten Stand für die Musik. Der freie Platz vor
der Hütte diente dem Tanz. Die alten Gudower wissen noch, wie in
ihren jungen Tagen die Tänze auf dem lichtgehaltenen Waldboden
geschritten und gesprungen wurden. Erst in der jüngsten Zeit
legte man eine doppelte Tanzbohle, deren eine aus Lehmrade
herbeigeholt wurde. Noch vor Abend war dann alle Arbeit beendet;
man hatte auch nicht vergessen, sich durch einen öfteren Umtrunk
immer immer wieder zu stärken.
In den Abendstunden
'knarpten' die Hütejungen das Fest ein. Sie knallten mit ihren
Peitschen um die Wette, und es war ihnen eine große Freude, wenn
auf dem Gutshofe auch der Landmarschall erschien und sich an
diesem 'Heidenlärm' ergötzte. Ehe sie sich aber schlafen legten,
baten sie noch die Mädchen, doch ja am andern Morgen zeitig zum
Melken aufzustehn, damit sie die Kühe früh austreiben könnten.
Der Austrieb erfolgte für alle an demselben Dorfende. Dort war
im Wege ein Stab aufgerichtet, in den jeder Hirte eine Kerbe
oder Karr schneiden mußte. Wer die letzte Kerbe einschnitt,
wurde dann als 'Pingstkarr' aufs beste gehänselt.
Am
ersten Feiertag nun stimmte sich das Dorf festlich; denn die
Verwandten von auswärts, alle die, denen Gudow die Heimat war,
sie kamen jährlich, um wie in Kindestagen die Pfingsten fröhlich
zu verleben. Nachmittags banden die Mädchen die Festkrone.
Unumgänglich war es, sie mit Ketten von zahllosen, bunt
gefärbten Eiern zu schmücken. Aus Buntpapier wurden
Pferdeköpfe, Hufeisen, Herzen und ähnliche Sinnbilder
geschnitten und auf die weißleinenen Reitdecken geklebt, die in
einer Ecke den Namen des Reiters zeigten. Die Pfingstknechte
selbst machten schon einmal einen Proberitt. Sie sorgten für den
Schmuck des Zaumzeugs, ließen auch ihre Pfingststräuße
herrichten und schafften die beiden Fahnen herbei. Diese wurden
beim Reiten wie eine Lanze vom Steigbügel getragen; ein Querholz
oben an der Stange hielt das Tuch des Fähnleins straff. Der
größte Pfingststrauß gebührte dem König. Ihn schmückte auch die
Pfingstjacke, ein
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breiter Ledergurt mit Schulterriemen. Wenn er ging oder ritt,
dann klapperte die Festkasse, die er in einem Kästchen an seinem
Gürtel trug. Die heut noch getragene Jacke ist mit Pferdeköpfen
und Schmuckmustern bunt ausgenäht und geziert; ein breites
Silberschild sagt, daß sie 1820 vom damaligen Pfingstkönig
gestiftet worden ist. Die Mitglieder der Familie des
Landmarschalls nahmen am Feste in der Art teil, wie es dem
Lebensalter der einzelnen entsprach. Die jungen Herren ritten
früh und leidenschaftlich mit, und 1826 war es, daß einer der
jungen Edelherren König geworden war.
Anr zweiten Pfingsttag
früh nachmittags bildete sich der Festzug vor dem
Bauernhause, dem der alte König angehörte. Die Musik voran,
dann der König, hinter ihm die beiden Fahnenträger und die
Reiter paarweise auf geschmückten Rossen - so wurde die
vorjährige Königin abgeholt. Und nun erst war der Zug
vollständig: die Festkrone war eingeordnet, und hinter den
Reitern folgte die Königin mit den Mädchen, geführt und
begleitet von denjenigen Pfingstknechten, die nicht beritten
waren. Durch das Dorf ging es auf den Gutshof vor den
'Treppenstuhl'. Sobald der Landmarschall mit seinen Angehörigen auf der Freitreppe erschien, brachte der König ein Hoch aus
aus den Herrn, auf die Gemahlin, auf die Söhne und Töchter
und schließlich 'up dat ganze adelige Hus von Bülow'. Nach
dieser Ehrung bewegte sich der Zug weiter zum Dorf hinaus an
dem pfingstgrünen Waldessaum entlang an dem Festplatz
vorbei - als ob's garkeinen gäbe - 'hen tau dei Riedbaan'.
Bevor das Ringstechen begann, ritt der König noch einmal durch
die Bahn: "Ein jeder wohr sin Frug un Kinner! Wenn dor weck
overräden ward, dor ward keinen wät vör gaud daan!" Zunächst
ward nur zur Probe geritten; es ging ,vör Lust'. Bald
erschien der Landmarschall mit den Seinigen. Sie nahmen zur
Seite der Bahn Platz. Und damit tat sich der Ernst des
Spiels auf. Jeder Ritt ward durch einen Tusch angeblasen,
und Pferd und Reiter unterlagen nun einer scharfen
Generalmusterung. Schließlich fand sich der glückhafte
Sieger. Der alte König übergab die Zeichen seiner Würde, vor
allem die Pfingstjacke, und fortan hatte der neue König das 'Sagen'. Die Pferde wurden alsbald nach Hause geritten, doch
nicht von den Pfingstknechten, sondern von den Bauern
selbst, oder von Jungen, denen es eine große Ehre war. Es
ging dabei um die Wette, und im Dorf beobachtete man genau,
wer zuerst einritt.
Wie war es unterdes den Mädchen ergangen?
Auf ihrer Bahn fanden sie drei Töpfe über je eine kleine
Grube gestülpt; sie wußten nicht, in welchem der Hahn, die
Katze oder das Kaninchen saß. Es galt, mit einer Kegelkugel
einen Topf zu zertrümmern, wobei es dem Glück überlassen
blieb, ob gerade der Topf mit dem Hahn getroffen wurde. Auch
hier ging es zunächst 'vör Lust'; die Töpfe waren noch mit
Soden geschützt. Doch dann entfernte man allmählich die Soden, was die Möglichkeit zum Siege vergrößerte. Flog
der Hahn
auf, dann 'griffen' alle Mädchen die neue Königin an, wobei
sie Hochrufe ausstießen und die Königin hoch und höher
hoben, mochte es auch ein Strumpfband kosten.
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Pingstheesch Poggensee. Ausmarsch 1938.
Blick in die
freie Tanzfläche. Im Hintergrund die
Musikantenbühne und das
hereinhängende Laubdach.
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1938/1 - unp.
"Dörft wi juch mal knipsen?" "Ja, giern!"
Heischen.
Aufnahmen 7 Hamann, Aumühle 1 D. Thomsen, Kiel.
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Waren König und Königin gefunden, so marschierte der Zug
nach dem eigentlichen Pfingstplatz. Dabei wurde die Krone so im
Takte geschwenkt, daß die Eierschalen platzten und der Weg
voller bunten Schalen lag. So gehörte es sich. Auf dem
Platze reihte man sich bald zum Tanz. Pflicht des Königs war
es und Ehre für die Mädchen, daß er sie alle 'eintanzte'. Er
führte zuerst die Königin allein zum Tanz. Nach dieser
Ehrenrunde übergab er sie dem vorigen König und forderte
seinerseits die alte Königin auf, sodaß beide Königspaare
sich reigend den Zuschauern darstellten. Danach reichte der
König auch die alte Königin weiter und führte nun ein drittes
Mädchen in den Reigen, in dem sich nun drei Paare schwenkten.
Derart kamen nacheinander alle Mädchen an der
Hand des Königs zur Ehre und Lust des Tanzes und zu ihrem
Tänzer - ein spannungsreiches und hübsches Schauspiel für die
Angehörigen. Besuchten die Damen des Landmarschalls den
Pfingstplatz, so war es ebenfalls Pflicht und Ehre des
jungen Königs, sie aufzufordern und einzutanzen. Unter den
bunten Tänzen liebte man besonders den Schäfertanz.
Der heiße
Tanz brachte Durst. In der Pfingsthütte hatte man Braunbier
aufgelegt. Davon trank alt und jung nach Herzenslust und
kostenlos. Die 'Kerls' nahmen dazu einen tüchtigen Schnaps, der
bezahlt werden mußte. Das 'Festessen' bestand in einem
Salzhering und einer trockenen Semmel, die in der Hütte
verkauft wurden. Dieser Festbissen war uraltes Herkommen,
und jeder Junge prellte seinen Vater solange, bis er ihm
einen Groschen für diesen Hochgenuß spendete. Zur
Abendbrotszeit war festlicher Einzug ins Dorf - der König
durfte nicht ohne Musik gehen - und dann abermaliger Auszug auf den Festplatz, auf dem nun die Nacht durchschwärmt,
durchtanzt, durchfeiert wurde. Was Wunder, wenn kein
Gudower diese pfingstliche Nacht unter dem hohen Walddache
vergessen mochte.
Der nächste Morgen war mit dem Hänseln der
neu eingetretenen Reiter ausgefüllt. Auf eine sehr burleske
Art wurden sie 'rasiert', was als eine sehr wichtige
Angelegenheit galt. Es handelte sich dabei um die Aufnahme
der Jungknechte in die Reihe der Altknechte. Fortan galten
sie als gleichberechtigt, besonders auch im Umgang mit den Jungmädchen. Das ist der Grundsinn des Brauches, der
ursprünglich zu dem Fastnachtstreiben der Knechte gehört
haben muß.
Am weiteren Vormittag fand dann mit Musik und
Hallo der Hcischeumzug statt. Vor allen Höfen erschien man,
bot dem Hause einen Trunk aus der Flasche dar und erhielt
Eier, Speck und Geld. Vielleicht tanzte man auch einmal mit
einem Mädchen oder mit der Frau des Hauses: 'Dei Frug is
aller Ehren wert'; es war niemand zur Unehr. Ein
Heischespruch war jedoch nicht mehr bekannt. Das Gesammelte
- Waschkörbe voller Eier sah man - wurde nun im Dorfkrug zu
einem gemeinschaftlichen Mahl bereitet. Die Pfannen kamen
nicht mehr vom Feuer. Zolldick wunderte ein 'Eierback' nach
dem andern auf die Tafel zur Beschmausung der Pfingstknechte
und aller mithaltenden Gäste. Dieses 'Eerback' ist nicht etwa
'Mehlbotter', jenes trügerisch durch Mehl verlängerte Rührei,
sondern an ihm bestätigte sich der Heischespruch:
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En Stück Speck as'n Arm lang, denn ward uns Eerback noch mal
so blank!
Die letzte Unruhe dieses Tages schwang aus,
wenn man nun des Abends noch einmal zum Festplatz hinausdöselte
und sich zum 'Söckenball' zusammenfand. Das will sagen, man
tanzte, wie man ging und stand, nötigenfalls auf Socken.
Der Sonntag nach dem Fest gehörte den Verheirateten. Diese
behaupteten, daß sie sich an diesem 'Lütten Pingsten' noch mehr
vergnügten als auf dem 'Groten Pingsten'. War alles
beendet, dann rechneten die Pfingstknechte ab. Sie hatten
die Wirtschaft selbst besorgt. Aus der Sammlung, die
herkömmlich beim Ringstechen stattfand, war das
unentgeltliche Freibier gespendet worden. Der sonstige Verkauf
hatte allerlei eingebracht. Die Musik war von dem Hofe
verpflegt worden, auf dem der Pfingstkönig zu Hause war. Da
kam es denn vor, daß am Ende des Festes die Pfingstknechte
noch einen Überschuß unter sich teilen konnten, zumal auch
der Gutsherr nicht wenig in die Sammlung tat. War endlich
alles erledigt, so konnte der neue König vergnügt die
silberbeschlagene Pfeife einrauchen, die der Landmarschall
dem jeweiligen König stets verehrte. Im Dorfe aber redete man
noch lange von den Pferden, den Reitern, dem Sandkönig, und
weibliche Herzen bewegten immer wieder die Frage: "Wat harr
hei Pingsten för'n Bruut?"
*
Das schöne Gudower
Pfingstfest ist ein Musterbeispiel dafür, wie der lauenburgische
Grundadel sich mit dem Verbot der Regierung abfand. Das Fest
ward im wesentlichen auf einen Haupttag zusammengedrängt; der Pfingstplatz ward vom Felde in den
eigenen Park hereingenommen, gewissermaßen unter eigene Aufsicht
gestellt. Das männerbildende Reiterspiel ward in den
Mittelpunkt gerückt, das Mädchenfest lose angehängt und alle
heidnisch verdächtigen Gebräuche abgestreift. Im übrigen
ließ man volle Freiheit und wußte man sich selbst mit
feiner, freier Würde zu beteiligen, wodurch die Gemeinschaft
allen lebendig sichtbar und herzlich fühlbar blieb.
Ein
Mangel am Fest blieb, daß Knechte und Mägde gleichzeitig ihr
Spiel auskämpften. Die Geschlechter hatten keine Gelegenheit,
sich gegenseitig zu bewundern und anzufeuern und kamen so um
einen natürlichen Reiz des Lebens. Das war offenbar nicht
immer so gewesen, und es ist noch in Erinnerung, daß das
Mädchenfest eigentlich an einem andern Tag gefeiert werden
sollte und könnte. Das bringt uns zu der Frage der
Dirnsmusik.
Das Fest hatte also eine Königin. Früher war die
Maikönigin zumeist schon am Himmelfahrtstag bestimmt. Dieser
Tag ist recht eigentlich derjenige für die 'Dirnsmusik'. So
nennt man jetzt die sommerlichen Vergnügungen der Mädchen, auf
denen durch unterschiedliche
Geschicklichkeitsleistungen die Tüchtigste sich erweisen muß.
Wenn dieses Mädchenfest jetzt in der Regel zwischen Heu- und
Korn
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ernte fällt, so weiß man doch überall noch, daß es eigentlich am
Himmelfahrtstag sein sollte. 'Dirnsmusik' heißt es, weil es
von den Mädchen ausgeht und durch die von ihnen gewählten
Schaffnerinnen geschäftlich verwaltet wird. 'Sei wült denn
ok mal wat maken.' Die älteste Nachricht über ein solches
Maigelag der Mädchen finden wir in der Ratzeburger
Polizeiordnung von 1382 unter Punkt 9, wo sie 'Von feier-
und sonntägigem Gesäuf und Tanzen' recht ärgerlich handelt:
Und alsdann auch die Mägde in der Stadt am TAGE DER HIMMELFAHRT
CHRISTI auf dem RATHAUSE EINEN TANZ NACHMITTAGS ZU HALTEN
GEWOHNT und wir solches UNZIEMLICH erachten, wollen wir, daß
solches binfürder bei Vermeidung unserer Ungnade und ernster
Strafe verbleibe, und soll dem Rate bei 10 Tlr. Strafe
VERBOTEN sein, hierzu DAS RATHAUS ZU ÖFFNEN.
Da aber
sonsten von den Nachbarn ZÜCHTIGE GELAGE, fröhliche
Zusammenkunft nach gehaltener Nachmittagspredigt werden
gehalten, können wir der Jugend in EHREN FRÖHLICH ZU SEIN,
da ihre Eltern, Herren und Frauen gegenwärtig, wohl gönnen
und zulassen 23).
Bildarchiv Heimatbund. Dirnsmusik
Duvensee 1936.
Wir dürfen uns danach vorstellen, daß an
dem Himmelfahrtstage der Festzug sich fröhlich REIGEND
durch die Straßen bewegte: ein paar Spielleute voran, dann
die hohe Krone aus Blumen, Laub und Eierketten, dahinter die
Maibraut als Königin im großen Kranze schreitend, der von
ihren 'Bedienten' in der Waage gehalten wurde, gefolgt von
den Mädchenpaaren mit Rosen im Haar. Feierlich war der
Augenblick, wenn die Maibraut im Zuge die Freitreppe zur Laube
des alten Rathauses ihrer Heimatstadt hinaufschritt, und noch
feierlicher war ihr gewiß zu Sinn, wenn sie auf dem
Rathaussaal den ersten Tanz alleine mit dem von ihr
gewählten Burschen unter der aufgehängten Krone tanzte.
Solange die Krone hing, hatten die
________________
23) Chronik der Stadt Ratzeburg. Heimatverlag Ratzebg.
1929.
S. 142.
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Mädchen die Tänzer zu wählen. 'Sei höbt't Anfaaten!' sagte man. Unter den Reigen hatte man sicherlich auch einen
Jungferntanz, etwa:
"Lange, lange, Lise, twindig is en Stiege, dörtig is en Rosenkranz, veirtig is en
Jungferndanz:
so keesen wi, so karrn wi, schlaan dei Bodder in dei Suse.
(Alle hocken sich nieder.) 24) |
Bis 1582 hatte man den Mädchen
das Rathaus geöffnet, was ohne weiteres besagt, daß es sich
um ein von allen gern gesehenes Gelag handelte. Der
Donnerstag, der alte Tag des Donar, wurde früher noch immer
in diesem Charakter gefühlt. Dem Donar, der mit seinem
Hammer die Ehen weiht, mochte ein solches Maigelag, bei dem
die Maibraut den Maimann sucht, an dem auch die Maipaare erkoren
werden, am segenvollsten unterstellt sein. Irgendwie muß in
den Bräuchen des Festes noch Heidnisches sich dargestellt
haben, sonst hätte man den 'gewohnten' Tanz nicht plötzlich
für einen 'unziemlichen' erklären können, und zwar von
seiten des Herzogs. Denn dem Rat, der vielleicht 'schwach'
werden könnte, werden 10 Tlr. Strafe für die etwaige Öffnung
des Saales angedroht 25).
Die Mädchen haben infolge des
Verbots wohl ihr Fest nach draußen verlegt: denn noch um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde 'auf dem St.
Georgsberge am Himmelfahrtstage eine Art Rennspiel von den
Mägden veranstaltet, das Schwanenreiten 26). Gemeint ist wohl das
Schwanenfahren, bei dem die Mädchen auf einem Karussell
sitzen, das aus dem Radgestell eines Wagens mit Leitern und
vier Wagenstühlen hergestellt ist und von den jungen Leuten
in vollem Schwunge geschoben wird. Die Mädchen müssen
während der Fahrt aus einem HÖLZERNEN SCHWAN drei im Dreieck
beieinandersitzende Pflöcke herausschlagen. Anderwärts benutzt
man nur eine Scheibe mit solchen Pflöcken als Ziel. Meistens
heißt dies Spiel 'Jungfernföhrn', besser 'na dei Jungfer
föhrn'. Der Name weist auf die ältere, sinnenhaftere, aber
derbere Gestaltung des Spiels. Als Ziel diente dabei eine
lebensgroße hölzerne Jungfer, aus der ebenfalls bei der
sausenden Fahrt die Zielpflöcke herausgeschlagen werden
mußten 27).
Andre Formen der Geschicklichkeitsprüfung sollen hier
nicht besprochen werden: Dubentrünneln, Kattenslaan, Hahn ut'n
Putt slaan, Kringelbieten, Brüdigamsgriepen (mit verbundenen
Augen nach einer Strohpuppe). Alles spielte und spielt sich
auch heute noch innerhalb desselben äußern Rahmens ab mit
Festzug und Tanz, bei dem dauernde Damenwahl statthat. Wer
etwa einen Tanz ablehnen wollte, würde vom Saal geblasen werden. _______________
24) Mensing, Schlesw.-Holst.
Wörterbuch 1929, II Sp. 1056: Jungferndans.
25) Daß damals
noch große Deutlichkeit in sinnbildlichen Handlungen möglich war
und andrerseits bekämpft wurde, ergeben auch die Bräuche des
Beilagers in jener Zeit in unserer Landschaft, die nächstens
in der Zeitschr. behandelt werden. 26) Jahrbuch
V, S. 282.
27) In Stormarn kannte man das Spiel als 'Jungfernstechen'. In
der Wossidlo-Sammlung in Schwerin steht eine solche hölzerne
Jungfer, die auch die Lokalisation der drei Pflöcke zeigt.
Bei uns hielt die Jungfer später auch wohl einen Kranz zum
Greifen für die Wettbewerberinnen.
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Als sehr alt und sinnvoll muß gelten 'DEN KEERL UT DE TUNN
SLAGEN'. Über einer Grube ist eine Tonne halb
eingegraben. Im oberen Boden sind drei Pflöcke angebracht. Es
gilt, diese Stäbchen hineinzuschlagen, was die Mädchen bei
verbundenen Augen mit einem Hammer versuchen. Vor dem Spiel
hat sich ein halbwüchsiger Bursche, der mit Bändern und
Flitterkram bunt ausstaffiert ist, unter die Tonne gesetzt.
Sobald ein Pflock hineingetrieben ist, schiebt er ihn wieder
hoch. Hat eine Dirn die meisten Treffer, so wird sie laut
begrüßt, und nun saust der Kerl aus der Tonne, und die
Mädchen stieben laut kreischend auseinander; denn keine will
sich greifen lassen und Keerlsbraut werden. Der Kerl mag
dann den Tag seine Tölpelsrolle weiterspielen, das Mädchen
ist die Maikönigin. Das Spiel läßt in seiner verzerrten
Gestalt uralten Sinn erkennen. Der 'Kerl' ist der 'Maikerl',
in heutiger Ausdrucksweise der 'Maimann'. Er ist der
Frühling in Person, der der Erde entspringt; die Königin ist
die Maibraut. Und die Freude, mit der das Maipaar begrüßt wird,
ist lauter Jubel über die glückhafte Einkehr des Frühlings.
Die Maibraut der Jüngsten.
Das Pfingstfest als
Gemeinschaftsfest gehörte aber auch den Kindern; man findet
erwähnt, daß es im Lauenburgischen ganz besonders das Fest der
Mädchen sei. Dazu stimmt folgende Nachricht:
Am Abend vor
Pfingsten werden in Lauenburg Kränze von Pfingstrosen
gebunden, und am Pfingstmorgen will jeder der erste sein beim
Aufstehen, um diese Pfingstkränze unvermerkt den übrigen
Hausgenossen bringen zu können. Wer im Haus am längsten
schläft, bekommt einen Kranz von Stroh oder gar von
Brennesseln und wird mit diesem Reim verhöhnt:
Pingstkarr, Haverblarr, Bookweetengrütt, garnicks nütt 28)! |
Das ist auch heute noch bekannt, und mancher lernt heute
noch die Nesselrute kennen.
Beim Auszug zum Pingsheesch
marschieren denn auch die geschmückten Kinder mit im Zuge,
dürfen nachmittags auch mit tanzen und erhalten aus einer
für sie aufgelegten 'Braunbier'-Tonne freien Trunk, um
ihren Durst zu löschen. (Behlendorf.)
In Mannhagen banden die
Mädchen eine Krone aus Blumen und Laub, die reich mit
Eierketten verziert war. Sie fand ihren Platz auf der
Pfingsthütte. Ein Ehrentanz mit den Erwachsenen zu Beginn
der Feier war der Lohn der kleinen Mädchen; währenddes hatten
die großen das Zuschauen.
Ursprünglich waren
natürlich die Mädchen nicht bloß 'beteiligt'. Ihr
pfingstliches Treiben war sinnvoller. West- und ostfälische
Bräuche kommen darin überein, daß sie die Mädchen
gabenheischend mit ihrer Maikönigin umziehen lassen als
'Pingstbloom' (westf.) oder als 'Maibrut' (ostf.). Wie noch
heute an manchen Stellen bei uns die Kinder sich ihren
Beitrag zum Kinderfest sammelnd erbitten, öfters mit einem
Bittspruch, so geschah auch früher der Pfingstumzug nicht ohne
hergebrachte Formen. Die gebliebenen Reste des Brauches und
die Er-
________________
28) Jahrbücher
1861. IV, S. 180.
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innerung in Kinderspielen helfen, ein Bild des ehemaligen Lebens
zu zeichnen 29).
War der hohe Pfingsttag in seinem Glanz
heraufgestiegen, war der Gottesdienst beendet, dann fanden
sich die blumengeschmückten Mädchen im Dorf zusammen. Sie nahmen
die schön 'aufgefliete' Maikönigin, die ihre kleine
Krone auf einem Stabe trug, in ihre Mitte und sangen nun von
Stelle zu Stelle:
'Buschboom harr sin Loof verlorn,
wer will davör sorgen? Dat schall Jungfer Maibrut daun an
'n Abend und an 'n Morgen. Gewt sei wat, so hett sei wat,
hett sei dat ganze Johr wat 30).' |
Es folgte (spielgemäß
üblich) Ablehnung, und die Mädchen sangen weiter:
'Rüll, rüll,
Rüllstock 31), Ackermann, dei lewet noch, holt Snaur um
dat Hus, kummt dei glare Jungfer rut.' |
Die Kinder
hielten die Schnur, und wenn sie erschien, sangen sie knicksend:
'Laat dei Jungfer Brut ruttreen.' |
Trat die
Maibraut vor, so nötigte der Kreis die Hoftochter zum Knicks:
'Jungfer mütt datselbe daun.' |
Das tat sie dann und
reichte ihre Gaben, mochten es Eier, Speck, Würste oder
Kuchen sein. Dann stampften die Kinder mit den Füßen:
'Tramm, tramm, Trittchen, up min Midchen, up min
Blaut 32)! Jungfer, kumm herut!' |
und zogen singend mit
der Maibraut weiter. So liebte es das Dorf, in seiner
prangenden, knospenden Jugend den Mai zu sehen.
Der
Pingstkarr.
Wie stand es um die Jungen? Folgender Bericht mag
uns führen!
"Im AMT LAUENBURG ist es Sitte, daß die
Hirtenjungen sich zu Pfingsten eine Koppel reservieren, auf
der das beste Gras wächst und auf die sie
______________
29) Dazu half besonders
auch, weil ostfälisch weit übereinstimmend mit uns: Andree,
Braunschweiger Volkskunde 1901. Eine hübsche Schilderung des
Pingstheesches in Mannhagen gibt Lehrer Meyer dort in
Bilder aus dem Volksleben des Ratzeburger Landes. Verlag
Hempel, Schönberg i. M. 30) Im Kinderspiel: 'Kirschbaum hat sein
Laub verloren usw.' 31) Rüllstock = Stock zum Reinigen der Schar
beim Pflügen. In ältester Zeit bei Umzügen getragen. Hier
eine Erinnerung daran, daß der Ackersmann (so wurde bei uns
der Bauer genannt) noch lebt, also auch noch geben kann. Das
Schnüren (Binden) wird (ohne Schnur) noch heutigentags von den
Erwachsenen an der Pfingsthütte geübt: die Vorübergehenden
müssen sich lösen. 32) Blaut = Blut = Opfer (ein alter
Ausdruck im Sinne von 'du mußt 'bluten' d. h. hergeben).
Gemeint ist die erhaltene 'Opfergabe', für die stampfend
gedankt wird [Der bezeichnete Vers ist bei uns nicht mehr
belegt.]
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ihr Vieh vor Pfingsten nicht treiben, um demselben auch ein
Festfressen zu verschaffen; sie heißt die Pfingstkoppel. Am
Pfingstmorgen entsteht ein Wetteifer unter den Hirten, wer
sein Vieh zuerst, nachdem Mitternacht vorüber, auf die Weide
treibt. Derjenige, welcher der erste gewesen, wird das ganze
Jahr hindurch geehrt, der letzte hingegen beständig geneckt.
Die Mägde werden auch verhöhnt, wenn sie die Schuld tragen,
daß die Hirten zu spät gekommen sind, da sie vor dem
Austreiben die Kühe erst melken müssen; sie weinen dann oft ihre
bitteren Tränen. Jedem, nachdem er mit seinem Vieh an diesem
Tage früher oder später ausgezogen ist, wird ein Ehren- oder
Spottname beigelegt; dem Ersten DOWSWENGER (Tauschwinger) oder
DOWSLEPER (Tauschlepper), dem Zweiten MAANDKARR, dem Dritten
POGGENKÜTER, dem Vierten SÜNNENKALF, dem Fünften
GRÜTTSCHÖTTEL; dem Letzten wird der Spottvers vorgesungen:
Pingstkarr, Hawerblarr, Bookweetengrüt, Garnicks
nütt 33)." |
Es entspricht den Gebräuchen in andern
Landschaften, wenn bei uns mit dem Pingstkarr ein Umzug
ausgeführt wurde, um Gaben - möglichst zu einem Trunk - zu
heischen. Dabei wurde dem Pingstkarr ein Birkenbusch ans
Bein gebunden, und er hatte den Vers zu sprechen:
"Pingstkarr, Haverblarr, Eier un Speck, Geld is't best."
Das Ganze endete mancherorts (z. B. am Sachsenwald) damit,
daß der Pingstkarr ins Wasser geworfen oder wenigstens mit
Wasser bespritzt wurde. Diese Hänselei ist das kümmerliche
Überbleibsel alten Brauches. Die Erwähnung des Frosches, der
ein Regentier ist, in dem Namen 'Poggenküter', die Benennung
'Tauschlepper', der Rest der Laubeinkleidung und schließlich
oie Besprengung mit dem Wasser - alles das gibt uns das
Recht, von einem Fruchtbarkeitskult zu sprechen. Das
Frühlingswasser ist das Fruchtbarkeitssinnbild; der in Rinde
und Laub gehüllte Bursche war dabei der Frühling. Mit Regen
und Tauregen sollte er dem Lande das fruchtbare Naß bescheren.
Der Name 'Pingstkarr' rührt von der Einkleidung her. Ehemals
hüllte man wohl den Karr in ein Kleid aus RINDE, BAST und
LAUB; später machte man ein korbartiges Gestell aus Laub und
Blumen, unter dem der 'Pingstkarr' beim Umzug ging, und
schließlich blieb ein mühelos gewonnener Busch. Jenes
korbartige Gestell war eigentlich der Pingstkarr (-korb) und
gab der Gestalt den Namen 34).
Das Gemeinschaftsfest.
Das alte, allgemeine Verbot von 1696 wegen des Pingstheesch
verpönt auch das Tanzen und Saufen.
Wir kennen nichts
Besonderes über die Tänze mehr. Mancher feierliche Reigen
wird darunter gewesen sein, mancher Tanz war nur eine
rhythmische und mimische Darstellung des völkischen Lebens, eine
spielende Erhöhung des eigenen alltäglichen Daseins. Manche
Volksszene, mochte es auch einmal ein Rüpelspiel sein,
erheiterte alle; das konnte niemandes Gemüt oder die
Sittlichkeit kränken. Was konnte
_______________
33) Jahrbücher V, S. 85 u.
IV, 180 (dort auch noch eine derbere Zeile).
34) Die
Einkleidung in eine Bast- oder Rindenhülle war übrigens unmöglich, seitdem das 'Abpällen' der Bäume unter Strafe gestellt
war (s. w. u.).
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harmloser sein, als wenn man sich über sich selbst belustigte,
wenn man etwa drastisch spielte:
"Gin Dag, gin Dag,
Herr Fiedelsmann, ik bring hier 'n Gruß von Mudder an,
du schußt en beten tau ehr kam'm mit dien ganzen lütten
Fiedelkraam, dat Hackmeß schuß du nicht vergeten, du
kriggst woll vull-up uptaueten." ----------- Un as hei keum, dunn heit
dat gliek: 'Speel up, Muskant, un maak Musik!' "Dunn
schulln ji dat Gefiedel seihn, wo perr dei Kierl mit dei
Bein, hei trippel un trappel an dei Eer herüm, ik dach,
hei bräuk dat Genick sik üm 35)." |
Mehr als das
Tanzen selbst wird das nächtliche Durchschwärmen verworfen, und
von der Lübecker Kämmerei (s. u.) wird eine Unterbrechung der Feier
um 1 Uhr angeordnet. Im Grunde war es uraltes Herkommen,
schon am Abend vor dem Fest zusammenzukommen - es war der
'Hilge Abend' des Festes -, die Nacht zu durchwachen und schon
am andern Morgen vor Sonnenaufgang den Zug durch die Felder
zu beginnen. Als die Kirche das übernahm bei den Kirchweihen und
Heiligenfesten, da hat auch sie die Nachtwachen nicht
'nüchterner' gestalten können 36).
Vom Pingsthilgabend ist
bei uns nichts mehr übriggeblieben, als daß die Knechte und
Hirtenjungen das Fest ein'ballerten', indem sie mit langen,
besonders zugerichteien Peitschen (Knarpen) aus den Höfen um
die Wette knallten, sich gegenseitig zu übertreffen suchten und
sich wohl auch einmal ein Gefecht lieferten. Man nannte das
Knarpen, Einknarpen des Festes (Swepenhög). In seinem Ursinn
ist es ein Verscheuchen der Dämonen. Das Knarpen geschieht
heute noch.
Die allerschärfste behördliche Kritik aber hat
der Umzug zum Heischen der Gaben am letzten Festtag
erfahren. Von dem friedlichen Auftritt war infolge der
Auflösung der Formen von obenher nur noch eine trümmerhafte
Zerrgestalt geblieben Es mag immer noch ein hübsches und
begehrtes Bild für die Dorfgenossen gewesen sein, wenn der
Zug - Spielleute auf dem Wagen voran, die reitenden Knechte
dahinter - auf den einzelnen Höfen erschien. Doch die einst
üblichen formelhaften Heischesprüche waren vergessen. An die
Stelle der ehemals ehrsamen und festlichen, ja unentbehrlichen
Formen der heischenden Begrüßung, der
gespielten Abwehr, des feierlichen Gebens und des
_______________
35) Vgl.
Mensing, Schl.-Holst. Wörterbuch II unter Fiedelsmann.
36)
"Sollen auch auff den Feyer, oder Heiligen, auch DER HOHEN FESTE
ABEND, auch FEIER UND HEILIGEN SONNTAGE ZU MITTAGE bey hoher
Straffe, keine Gastereyen oder Gelage, gehalten werden." (Lbg.
Kirchenordng, fol. 92, Punkt 14.) So bekämpfte unsere
Landeskirche die 'Hilgen Abende'. Mit welchem Erfolg das
geschah, ersieht man, wenn man etwa unsern Weihnachtsheiligabend mit seiner Nüchternheit dem Weihnachtsabend in den
Vierlanden gegenüberstellt.
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dankenden Abschieds war lärmende Musik und lautes, dreistes, oft gewaltsames Gebaren getreten. Aber das Geben blieb, und
immer noch kam genug an Eiern, Würsten, Speck und Geld
zusammen, um ein fröhliches Gemeinschaftsessen in der
Pfingsthütte ermöglichen zu können. Und dieses Mahl bildete
einen gewissen Höhepunkt gegen Ende des Festes, an dem jeder
teilnehmen konnte - ob arm oder reich. Man hat das Sammeln
böswillig 'Garden, Betteln und Schnurren' genannt. Wer von
Zwang spricht, wie die Behörde es tat, vergißt, daß Sammeln
und Geben gleicherweise ehrenhaft und pflichtmäßig im Dienst
der Gemeinschaft geschah. Es handelte sich um eine aus ältester
Zeit überkommene Opfergabc zum gemeinsamen Opfermahle - wie
heute wieder das Dritte Reich Sammeln und Opfern übt als
Ehre und Pflicht im Dienste der Volksgemeinschaft.
Ebenso war es damals ehrenhafte Sitte, daß jeder Vorüberkommende an der Pfingsthütte angehalten wurde. Er war gebunden -
er mußte sich lösen. Der Ehrentrunk ward ihm gereicht, und
mit dem Einkauf löste er sich und war damit in die
Gemeinschaft aufgenommen. Er konnte mittun. Gerade dieser
Brauch hat manches Band von Dorf zu Dorf gewunden und dem
Fest eine volksbildende Kraft über die Enge des Dorfes
hinaus verschafft. Diese gcmeinschaftsbildende Kraft des Festes
wurde kaum erkannt und darum von oben her nicht genug geschätzt und gepflegt.
Lauf der Entwicklung.
Folgen wir nun
der geschichtlichen Entwicklung, so bekommen wir
gleichzeitig ein Bild von der Verbreitung des Festes im Land.
Die ÄLTESTE m. W. bekannte Erwähnung der Pfingsthütten ist
eine Beschwerde der Geesthachter von 1651 über die
'Sächsischen'. Diese hatten ihnen die Pfingsthütten, die sie
sich auf ihrem Moor an der Grenze der Besenhorster Feldmark
errichtet hatten, zerstört und ihnen die Biertonnen
zerschlagen. Das gewaltsame Auftreten der Sächsischen hatte
schon einmal einige Jahre vorher stattgefunden; es handelte
sich dabei um Streitigkeiten über die herrenlose Feldmark an der
Elbe. Man kann nun annehmen, daß damals nicht bloß Geesthacht, sondern auch andere Dörfer im Lauenburgischen diese Art
der Feier in den Pfingsthütten kannte.
Das ALLGEMEINE
Ausschreiben der Lauenburgischen Regierung von 1696 (s. ob.)
läßt ebenfalls den Schluß zu, daß der Pingsheesch in
Lauenburg allgemein verbreitet war. Die Bedrohung mit Geld- und Gefängnisstrafe aber mußte natürlich die Formen des Festes
gewaltig zerstören und damit eine weitere Sinnemleerung der
Gebräuche herbeiführen. Dennoch unterblieb nicht das
Feiern.
Gab es kein durch Alter geheiligtes Brauchtum mehr,
weil die Lauenburgische Regierung das als heidnisches Wesen
verbot; gab es kein Setzen von Laubhütten mehr, weil die
Regierung es als ein unnützes Werk untersagte: so verblieb
nur noch Trunk und Tanz. Die Folgen sieht man in einer
Anordnung, die 1735 AN ALLE ÄMTER erging.
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Als an einigen Orten auf dem Lande der Mißbrauch eingerissen,
daß das junge Volk am ERSTEN AUCH ANDEREN TAGE NACH
DEM PFINGSTFEST nach geendigter Predigt Bier aufleget, und
den Tag mit SAUFEN, TANZEN und dergl. ÜPPIGKEITEN zubringet,
wodurch das Fest ENTHEILIGET und GOTT IM HIMMEL ZUM ZORN
GEREIZET WIRD, so begehren - - - Wir hiemit, Ihr wollet
solches - - - bei nahmhafter Strafe untersagen. Wenn
aber AM DRITTEN PFINGSTTAGE der Gottesdienst völlig geendigt,
kann denen jungen Bauersleuten wohl eine ZULÄSSIGE
ERGÖTZLICHKEIT, nur, daß aller Exzeß unterbleibe, zugelassen
werden 37).
So ohne weiteres verschwanden aber auch die
Pfingsthütten nicht. Das AMT SCHWARZENBEK erhielt noch 1748 eine
besondere Verfügung darüber. Es ward aufgegeben:
1)
daß diejenigen Untertanen, welche künftig die BÄUME ABPÄLLEN, den Wert des Baumes, diejenigen aber, welche grüne Telgen
abhauen oder reißen, dafür den vierfachen Wert des Holzes
zur Strafe entrichten sollen,
2) daß zu denen sogenannten
PFINGSTHÜTTEN, welche bei Betreibung eines für das Vieh
geschoneten Angers gemachet werden, kein Holz und Busch aus
den herrschaftl. Forsten zu nehmen, und wann solches künftig
geschehen sollte, die Täter jedesmal mit 5 Rtlr.
einzuwrogen. Das war nicht nur in den Registern anzuführen,
sondern auch im Amte kundzutun 38).
So mag es richtig sein, wenn
noch 1861 geschrieben werden konnte:
"Zur Pfingstzeit
werden in LAUENBURG ÜBERALL vor den Dörfern auf einem freien
Platze oder einer Koppel LAUBHÜTTEN errichtet, in denen
getanzt wird. Vorübergehende oder -fahrende werden mit
EINEM TRUNKE BEGRÜSZT UND LÖSEN SICH MIT EINER GABE. Der Name
für diese Feier ist 'Pingsthöge', man hört auch wohl
entstellt 'Pingstheesch' 39)."
Heute ist unsere besondere Art der
Pfingstfeier weithin vergessen. Namentlich der Süden kennt
sie nicht mehr. In Basthorst baute man noch um 1900 jährlich
eine Pfingsthütte. Auch Buchholz hatte bis in die jüngste
Zeit die Hütte. Wir haben aber gesehen, daß sie überall in
Lauenburg bestanden haben muß. JEDENFALLS KANN DIE MEINUNG NICHT
AUFRECHTERHALTEN BLEIBEN, DASZ DIESE FORM DES PFINGSTFESTES IM GRUNDE NUR FÜR DEN EHEMALIGEN LÜBSCHEN ENKLAVENBEREICH GELTUNG GEHABT habe. Doch ist
nicht zu leugnen, daß sie dort in Nüsse, Breitenfelde,
Mannhagen, Behlendorf usw. am lebendigsten erhalten geblieben
ist trotz des Verbotes der LÜBECKER KÄMMEREI von 1729.
Als die Enklaven an Lübeck kamen 40), bestand natürlich
der Heisch schon und blieb auch weiterhin das höchste Fest des
Jahres. Nachdem aber die Lauenburgische Regierung
1696 schon vorangegangen war, fand die Kämmerei bald
Veranlassung, auch rügend vorzugehen. Die Feier auf dem Lübschen
Gebiet war vermutlich, wie es heute noch sich zeigt, ein
Anziehungspunkt für die Lauenburgischen Dörfer der Umgebung
geworden. Die Kämmerei VERBOT ZUNÄCHST DEN SAMMELUMZUG,
setzte den Beginn auf die Zeit nach dem Gottesdienst am zweiten
Tag, untersagte das NÄCHTLICHE DURCHSCHWÄRMEN, verlangte Unterbrechung der Feier um
1 Uhr nachts und bedrohte die
Übertretung
_______________
37) Lbg. V.-Smlg.
III, S. 30. 38) A. a. O. S.
260. 39) Jahrbücher IV, S.
181. Im letzten Satze irren die damaligen Verfasser. Der
Name Pingstheesch oder -heisch ist nicht entstellt; es ist die
im Norden gebrauchte Form. Im Süden sagte man zumeist
Pingsthöge. 40) Die Entwicklung im Lübschen ist hier, was die
Tatsachen angeht, gezeichnet nach DR. Hartwig im Lüb.
Gen.-Anz. (Pfingsten 1936). Vgl. auch Fehling, Lüb.
Stadtgüter i. Anhang.
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mit GEFÄNGNIS- und LEIBESSTRAFE. Man sollte den Heisch begehen
'mit solchem BETRAGEN ALS CHRIST GEZIEMEND.'
Das Versagen
dieser Verordnung veranlaßte 1729 die Kämmerei zu einem völligen
Verbot. 'Der PINGSTHEISCH SOLLTE ÜBERALL GÄNZLICH
ABGESCHAFFT SEIN UND BLEIBEN.' Auch in einem Nachbardorf solle
man ihn nicht feiern, sondern sich dessen VÖLLIG ENTÄUSZERN.
Wenn man auch das Verbot wiederholte, die Holzvögte und selbst
die Bauervögte zur Anzeige verpflichtete, die Sitte
war mächtiger. Was schließlich bestehen geblieben war, das
wurde 1802 nach drei Generationen durch eine neue Anordnung
legalisiert.
Damals war der Rat 'nicht mehr gemeinet, dem
jungen Volk eine Ergötzlichkeir zu untersagen'. Die Feier
konnte am zweiten Festtag beginnen. Tanz und Musik waren
gestattet. Knechte und Mägde durften jedoch NUR MIT WISSEN
IHRER ELTERN UND HERREN TEILNEHMEN. Das Gelag sollte im
Bauervogtskrug stattfinden; die jungen Leute mochten es aber
auch in EINER GRUBE IM FELDE halten. Am Mittwoch mußte
morgens alles beendet sein.
Das ist im wesentlichen der Stand
bis heute geblieben. ZÄHIGKEIT DER SITTE UND BÄUERLICHES
WOLLEN SIND STÄRKR [sic!] GEWESEN ALS BEHÖRDLICHES MÜSSEN.
Der
Pingstheesch in Poggensee.
Einen guten Einblick in unser
Fest bot noch in diesem Jahre das freundliche,
weltabgeschiedene Poggensee. Wie immer war schon am
Sonnabend mit Lust und Liebe die Hütte auf dem Brink
aufgerichtet worden. Schlanke Birkenstämme krönten mit ihren
Wipfeln die Laubwände. - Zwei Drittel der Hütte bilden die
lichte Tanzfläche. Im obern Drittel liegt der Rasen unter
einem luftigen Laubdach, das auf sechs schlanken Birken
ruht. Der Bau ähnelt dem Bauernhause mit seiner großen Diele und
dem Kammerfach. Hier oben in dem lichtdurchrieselten
Raum sitzt man schön zu Gaste, wenn die Paare vorn im
Sonnenglanz tanzen. Ordnung, Begastung, alles wird noch von den
jungen Leuten selbst geführt. - Am zweiten Festtag sammelte
der Festzug unter den weich verhallenden Klängen der Musik
die Gäste im Dorf, und dann vereinte sich jung und alt zum
Tanz. Der dritte Festtag sah noch einmal auf dem Brink den
Umzug und den Tanz, der die laue Sommernacht hindurch
anhielt. Der nächste Morgen ward mit dem Heischeumzug
ausgefüllt, dessen lustigen Auftritten das gemeinsame Mahl sich
anschloß. Damit endete der Sommerzauber, dessen leichte,
feine Stunden indes in manchem Gemüt weiterleben wie ein
ewiger Sonntag.
*
Wir geben nun noch ein Bild von
dem MÖGLICHEN Verlauf der Festtage auf der Höhe der Entwicklung.
HIMMELFAHRT: Einholen des Gewitterbusches, Maigelag der
Mädchen (Maibraut und Maikerl, Maipaare), Reiterspiele
(Maigrafschaft, Kampf des Sommers mit dem Winter).
PFINGSTEN: FREITAG: Aufbauen der Hütte. - SONNABEND: In der
Frühe: Maiholen und -setzen. Schmücken der Hütte. - PINGSTHILGABEND: Einknarpen des Festes. -
1. FESTTAG: Kranzsetzen b.
Wecken, Nesselkranz des Pingstkarrs. Nach dem Gottesdienst:
Umzug der Kinder mit der Maibraut. Nachm. Umzug des
Pingstkarrs oder Hänseln. - 2. FESTTAG: Auszug zur
Pfingsthütte (Einholen der Maikönigin), Reiterspiele,
Ringstechen u. ä.. Festliches Leben (Bierkaltschale als Speise
- Tänze). - 3. FESTTAG (Afsetteldag): Heischeumzug.
Gemeinsames
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Speisegelag in der Hütte. Tänze. - Am 4. MORGEN: Abrüsten
(Begraben?) des Festes.
LÜTTEN PINGSTEN: Nachfeier.
Tänze. Spiele (die in den Festtagen abgesetzt worden waren),
Ringstechen u. ä.
Ergebnis.
Der dreitägige
Pingstheesch ist der Höhepunkt eines Festkreises, dessen
feierlicher Verlauf am Himmelfahrtstage begann und mit dem
Lütten Pingsten schloß. Hervorgegangen ist der Heesch aus den
alten Flurumzügen. Die bei der Verchristlichung
ausgeschiedenen Bräuche (Kampfspiele, gemeinsame Mahle)
gesellten sich dem Maienbrauchtum, das zwar keinen Maibaum,
wohl aber die pfingstliche Laubhütte als äußern Mittelpunkt
der Gemeinschaftsfeier und dazu das Maipaar in verschiedener
Versinnbildlichung kannte (Maibraut, Maikerl, Maigraf). So
gestaltete sich ein Fest auf dem Grunde arteigenen Wesens und
Denkens, das allen als das schönste Fest des Jahres
erschien. Im gesamtgeistigen Leben mochte es den Eindruck einer
weltlichen Kirchweih machen. Erst die langsame Auflösung der
Formen ließ die einzelnen Bestandteile vergehen, soweit sie
sich nicht auf kleinere Festtage zerstreuten, die im Raum
zwischen Pfingsten und dem Johannistag liegen. Die
gemeinschaftsbildende Kraft des Festes kann nicht hoch genug
geschätzt werden. Sie überschritt jedoch nicht die Grenzen eines
Kirchspiels; ein Gaufest - wie etwa das Maigräfenfest in
Glüsing - ist nicht entstanden.
Die hannöversche
Regierung hat öfters wenig Verständnis für die Volksbräuche
gezeigt; sie hat durch ihr Eingreifen auch den Pfingstheesch
WEITGEHEND ZERSTÖRT. In den lübschen Enklaven hat die
Zähigkeit der Bauern soweit gesiegt, daß ein schönes
PFINGSTHÜTTENFEST, wenn auch geringern Umfangs, erhalten blieb.
Der landsässige Adel hat besonders das wehrbildende
REITERFEST in den Mittelpunkt gerückt. Vorbildlich für ihn
war wohl das Vorgehen des Landmarschalls, der in feiner
Weise sich in die Gemeinschaft einschaltete und durch seine
Teilnahme das Fest vor weiterer Verkümmerung wahrte.
*
Sollte jemand denken, dem Pfingstheesch sei hier reichlich
Lob gespendet, so möge er wissen, in diesen Zeilen ward
nicht die letzte, nüchterne Realität, sondern die Idee des
Festes gesucht, die uns nach Grimms Worten zeigt, daß der
Eintritt des Sommers den Alten eine heilige Zeit war, die
durch Opfer, Feste und Tänze bewillkommt wurde und das Leben
des Volks mannigfach regelte und erheiterte.
|