Wer vor 200 Jahren mit dem Ratzeburger
Fährboot vom Dom nach der Bäk fuhr, dem traten andere Bilder
vor Augen als uns Heutigen. Stieß das Boot am flachen Ufer
auf, dann empfing den Wanderer das Rauschen des großen Rades
der alten Pfaffenmühle, und daneben vernahm er bald das
stampfende Arbeiten der Walkmühle. Begab er sich ins Bäktal,
dann trat ihm auf jeder Talstufe ein anderes Mühlenwerk
entgegen: Papier- und Ölmühle, Kupferhammer und
Messinghütte, dazu das Beutelwerk, alles in allem die
gesamte
Mühlenindustrie jener Tage. Mochte unserm Besucher der
Anblick dieses behenden Fleißes gar zu modern und unruhig
erscheinen, so
konnte er den hohen Wald durchqueren und fand dann jenseits
der Stille des Pfaffenholzes ein Riesenbett, das älteste und
ehrwürdigste
Denkmal damals weit und breit 1). Wer mehr das
offene Bild des Sees liebte, der mochte sich von der
Pfaffenmühle aus gleich westwärts
wenden. Zur Linken blieb dann der Schwalkenberg liegen, an
dessen steiler Kieswand die Schwalben aus ihren Sandnestern
aufstiegen.
Netze und Boote drunten am Ufer sagten, daß der eine der
beiden Katen dort die alte Behausung des Fischers sei. Der
Fischer durfte
auf die uralten Gerechtsame seines Gewerbes sehr stolz sein;
es
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1) Die Lage wurde noch 1652
genau bestimmt. S. Kobbe I, S. 307.
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1939/1 - 36 dünkte ihn vielleicht nur ein
weniges, daß in jüngsten Zeiten neben ihm eine neue
Walkmühle aufgebaut worden war. Das Leben am
Uferrand überblickte man von dem Römnitzer Hofe her. Das
alte, aus Eichenwerk gezimmerte Vorwerkshaus war der
Sitz des Amtsmeiers, dem nicht nur das ganze
durchwanderte Gebiet, sondern auch das Dorf Kampow mit
Pachten und Diensten zugewiesen war. Wie es der
Stundenfall wollte, sah man die Bauern mit schwerem
Tritt oben aus dem 'Kornberg' den Acker bestellen, die
Ochsengespanne das Korn über den 'Mehlkamp' zur
Pfaffenmühle bringen, die Kuhherde die Trift hinab zur
Tränke ziehen im See und weiter zur Weide im süßen oder
sauren Gras der Uferwiesen, oder man hörte den
taktmäßigen Klang der Dreschflegel in den großen
Scheunen. Fast alle
diese Bilder im Gebiet der Römnitz sind heute gewandelt,
der Hof aber steht immer noch. Ihm gilt unser Interesse.
Merkwürdig ist seine Lage. Die Wirtschaftsgebäude stehen
auf der halben Höhe des ansteigenden Ufers. Die Reihe
der Katen führt
weiterhin die Höhe hinauf; oben erst übersieht man die
weite Gutsflur. Herauf und hinunter fahren die schweren
Bauwagen; nicht auf
der Höhe und nicht inmitten der Feldmark liegt der Hof,
sondern durchaus am Rande. Die ganze Anlage wird auf
slawische Urgründung zurückgehen; denn die Slawen
bevorzugten die Niederungslage, bei der sie am
leichtesten dem Fischfang im See und am Bach obliegen
konnten. Auf slawischen Ursprung deutet auch der Name
Rodemuszle 2). Er soll 'Dorf des Radomysl'
bedeuten und mag uns den Namen des Geschlechtsältesten
künden, der seine Sippe dort ansiedelte. Zudem wird das
Dorf in einer Urkunde ausdrücklich als SLAVICUM
bezeichnet 3). Das besagt, daß es
slawische Wirtschaftsverfassung hatte und demnach von
Slawen bewohnt gewesen sein muß; denn Deutsche hätten
sich nie dieser Arbeitsstufe anbequemt.
Rodemozle wurde dem Bistum Ratzeburg bei dessen Gründung
als Ausstattung zuteil neben Ziethen, Farchau und
Kolaza. Bischof und Kapitel teilten sich 1194
in das Kirchengut, und Rodemozle fiel mit Zins und Zehnt
ans Kapitel. Die Zehntverfassung setzte Hufeneinteilung
und deutsche Wirtschaftsweise voraus. Beide waren mit
ihrem größeren Steuerertrag den Grundherren zum Vorteil,
da die
Wenden nur nach der Zahl ihrer Gespanne steuerten, nicht
aber mit einem festen Teil ihrer Ernte, deren Ergebnis
auch nur schwankend
und gering sein konnte. Natürlich haben auch manche
Wenden die Hufeneinteilung angenommen und sich der
deutschen Art der Beackerung der schweren Böden mit dem
eisernen Pflug angepaßt. Vielleicht haben das auch die
Wenden in Rodemozle getan, wie in so manchem 'Wendorp'.
Wenn ja, dann müssen sie bald 'friedlich und
freundlich', wie man es damals nannte, vertrieben worden
sein 4); denn 1285 war
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2) Rudemoyzle ( 1158?),
Rodemozle ( 1174), Rodemoyzle ( 1238),
Rodcmuszlc ( 1285), 1392 Hof
'to Rodemisse', 1525 Rodemissen de Hoff.
3) Westphalen Mon. ined. II
fol. 2254 Nr. 117, zitiert
von v. Duve 1826 i. Staatsb. Magaz.
Schleswg.
4) So wurden 1250 die Wenden
aus Wendisch-Pogeez, heute Holstendorf, PACIFICE ET
AMICE vertrieben.
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1939/1 - 37 es ein deutsches Dorf, wie
wir sehen werden. Neben den heutigen 'Kämpen' erinnert
auch kein 'Wendfeld' mehr an altes Kulturfeld der
Slawen; die Deutschen erst werden die größere
Rodungsarbeit geleistet haben. Die Flur umfaßte
1238 bei der Grenzbestimmung durch
Albrecht I. ein Gebiet 'vom Großen See, wo
er geradeausgeht, zum zum [sic!]
Holenwege, zum Halsbrok, zum Hals, dann bis zum
Grenzberge zwischen Mechow und Rodemoyzle'.
Die Urkunde.
Das alte Dorf Römnitz wurde 1283 vom
Kapitel in einen Meierhof umgewandelt; die Bauern wurden
vorher aufgekündigt und mußten dann abziehen. Die
Beurkundung des gesamten Vorgangs geschah durch den Vogt
und den Rat der Stadt Ratzeburg. Das Schriftstück hat
folgenden Wortlaut 5):
"Allen, die vorliegende Schrift sehen werden, entbieten
der Vogt und die Bürgermeister der Stadt dienstwilligen
Gruß! Wir sagen, was wir wissen, und was wir sagen,
bezeugen wir urkundlich, nämlich daß, nachdem die Bauern
des Dorfes auf der Römnitz (Rodemuszle) lange Zeit die
Acker jener Dorfflur, OHNE DARAN ERBLICHES EIGENTUM ZU
HABEN a), mit günstiger Erlaubnis des
Ratzeburger Domkapitels bebaut haben, solange nicht das
Domkapitel die genannten Äcker auf eigene Kosten und in
eigener Arbeit zu bewirtschaften beabsichtigte, es DEN
GENANNTEN BAUERN EIN JAHR UND 14 WOCHEN
VORHER ANKÜNDIGEN ließ, daß sie während vorgenannter
Zeit bis folgenden Michaelis jene Ländereien so bebauen
und bepflanzen sollten, daß sie dann abziehen sollten
und später nichts mehr daran rechtlich zu beanspruchen
hätten. Und diese haben getreulich bezeugt, daß sie das
tun und ausführen wollten und daß sie keinen
Rechtsanspruch noch Beschwerde gegen das Domkapitel
hätten, noch aus derartigem Grunde sich auflehnen
wollten, WOFERN SIE NUR b) ihre Häuser und
die Arbeiten an ihren Gärten nach Abschätzung vom
Domkapitel IN BAREM GELDE erstattet bekämen. Zu
Achtsleuten wurden seitens des Domkapitels erwählt der
VOGT BERTOLD, DER KLOSTERMEIER c)
FRIEDRICH zu Römnitz und THIMMO VON UTECHT, seitens der
Bauern KONRAD VON BUCHHOLZ, JAKOB, genannt 'MIT DEM
BLOSZEN SPEER d) und BERNHARD VON
POGEZ. Diese sechs wurden von beiden Parteien angenommen
und schätzten die Gebäude und Gartenarbeiten nach
sorgsamer Aberlegung folgendermaßen: des Meynard zu
2 Mark, des Fischers Albert zu 24
Schilling, des Schulzen Konrad zu 16 M.,
des Friedrich zu 3 M. 4
Sch., des Hermann zu 5 M., des Nikolaus zu
3 M., Rolands des Bunten e)
zu 12 Sch., der Söhne Hildegunds zu
7 M., der Witwe Rikeca zu
_______________
5) Die Urkunde (Mcklbg. Urkdbch. III,
1816) ist übersetzt und behandelt von
Hellwig im Archiv d. V. f. d. Gesch. des Hzgt. Lauenburg
VII, S. 106 ff. und von
Prof. Folkers in 'Quellen der Heimat' D
Heft 5, Schönberg 1925. Der deutsche Text
folgt hier nach beiden. Vgl. auch Bertheau, Mecklbg.
Jahrb. 79, S. 93 f., und
auch dessen ganze Abhandlung dort.
a) haereditatem non habebant.
b) dummodo. c)
magerus eccl. d) Nuda hasta.
e) Rolandi Varii.
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1939/1 - 38
2 Pfund, des Richard zu
2 M., des Johannes, Konrads Sohn, zu
2 M. 4 Sch., des Johannes, Rolands Bruder, zu
20 Sch.,
Olyvas
Schwester zu 4 M., des Lutbert zu 5 M., und des Steding
zu 3 M.
Später bezeugten vor uns der schon genannte OLYVA MIT
SEINER SCHWESTER, daß sie ihre 4 M. empfangen haben,
indem sie sich keinen Anspruch und Klage mehr gegen das
Kapitel vorbehielten. Nachher erklärten die Söhne des Bauermeisters
Conrad, NIKOLAUS, BERTHOLD, JOHANNES, HINRICH und ECKEHARD,
vor uns, daß sie 16 M. vom Domkapitel erhalten hätten,
und Nikolaus
von Salem gab für sie das Versprechen. Ferner sagte HERMANN,
genannt BLANCKE, daß er 5 M. empfangen
habe. Auch für diesen
gab Nikolaus von Salem das Versprechen. Ferner empfing RODOLF
12 Schilling, das Versprechen gab für ihn der
Bechermeister Bertold;
FRIEDRICH empfing 4 Sch. und 3 M.; NIKOLAUS,
genannt NYEBUR, erhielt 3 M.; Gerhard von Gieselbrechtsdorf, ein
Vasall des
edlen Herrn Th. von Parkentin, gab das Versprechen. JOHANN,
des Bauermeister Conrads Sohn, empfing 2 M.
4 Sch.; die
WITWE HILDEGUNT und ihre Söhne, und zwar Johannes und
Werner mit
ihren Schwestern Sophie und Hildegund, empfingen 7M.;
JOHANNES, genannt BONDE ROLANT, 20 Sch.; WITWE
RIKSIT
für sich und ihren Sohn Johannes, genannt der Graf, und
ihre
Schwester empfing 4 M.; der Fischer ALBERT, genannt
Fubeterne, 24 Sch.; LUBBE 5 M., STEDING
5 M., METTEKE, MEINEKES FRAU, 2 M.
Dies ist verhandelt im Jahre des Herrn 1285, zu
verschiedenen
Zeiten des Jahres, je nachdem die Vorgenannten, wenn sie
ihr Geld
empfangen hatten, das vor uns ausdrücklich anerkannten."
Ein braunes oder ein buntes Dorf?
Unser erstes Interesse gilt den Bauern selbst. Prüft man
ihre
Namen, so wird man sie als deutsche erkennen müssen.
Wäre es auch
möglich, daß sich slawisches Blut unter deutschem Namen
darstellte,
so ergibt doch die weitere Betrachtung den deutschen
Charakter. Es sei
zunächst daran erinnert, daß nach allgemeiner Ansicht
die deutschen
Siedler im Land Ratzeburg vorwiegend aus Westfalen
stammen. "Die
Bewohner des Fürstentums unterscheiden sich schon seit
langen Jahren,
ohne daß sich Nachweisen ließe seit wann, in die Braunen
und Bunten.
... Eine noch jetzt bestehende Trennung fand seit
Menschengedenken
zwischen ihnen und den Braunen statt; Ehen zwischen
beiden gehören
im allgemeinen zu den seltneren Fällen ... der Bauer
selbst heiratet
fast nie eine Bunte." So sagt Masch 1837 6) und schildert
weiter die
Braunen als einen spät reifenden, wohlgebildeten
Menschenschlag von
mittlerer Größe, blauäugig, dunkelblond oder
lichtbraunen Haares und
von ansprechender Gesichtsbildung. "Ausdauer in jeder
Hinsicht, die
wohl oft Hartnäckigkeit genannt werden kann, gehört zum
Charakter des
Volkes, das sich übrigens durch Treue und Rechtlichkeit
und Wohl-
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6) Masch: Der Bauer i. Fürstent. Ratzeburg. Jahrbuch d.
Vereins f.
mecklenb. Gesch. 1837, S. 147.
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1939/1 - 39 tätigkeit vorteilhaft
auszeichnet, fest an dem einmal Bestehenden hält
und sich zum Aneignen fremder Ansichten schwer
entschließen kann."
Und auch Kobbe sagt, ebenfalls 1837 7), daß man im Stifte
zwischen
Braunen und Bunten unterscheide. „Die Braunen erscheinen
bei Trauungen mit einem Schwerte im Arm und gehen ungern
Verbindungen mit den Bunten ein. Es leidet keinen Zweifel, daß
diese
Braunen, welche sich in einigen Dörfern, als Mechow und
Ziethen,
nicht finden, Nachkommen der im 12. Jahrhundert
eingewanderten
Phot. A. Hannig.
Blick auf die Römnitz vom Turm der St. Petri-Kirche in
Ratzeburg.
Kolonisten, die Bunten aber teils slawischen
Ursprungs, teils Abkömmlinge späterer Einwanderer sind
8)." Wenn nun jemals
zwischen
Braunen und Bunten unterschieden wurde, dann sicherlich
in der Siedlungszeit. Damals wurde der Gegensatz in Bräuchen und
Sitten und
im Charakter mit aller Ursprünglichkeit gefühlt und mit
den Stich-
_______________
7) Kobbe III, S. 207.
8) Auch Masch sagt a. a. O. bei der
Schilderung der Hochzeit vom Bräutigam, er trage unter dem Arm einen Degen,
DAS ZEICHEN DES FREIEN MANNES. Die Deutung ist nicht
sicher. Der Degen wird eher bei den Beilagerbräuchen zur Einsegnung des Bettes (zum sogen.
Bewritten) gedient haben.
In Dithmarschen und in holsteinischen Geestdörfern wurde
noch um 1800 die Braut
mit Kleidern ins Bett gebracht. Dabei wurde das Bett mit
einem Schwert oder
Pook segnend zur Unheilsabwehr überkreuzt unter dem
dreimal wiederholten
Spruch: Hier bewritte ik twee Kinder, twee salige Kinder
usf. Masch erzählt
nur noch, daß die Braut mit Kleidern zu Bett gebracht
wurde. (Nach dem
Idiotikon v. Schütze 1800. Vgl. auch Warnke
(Hochzeitsdegen) in Mitt. d.
Heimatbundes f. d. Fürstent. Ratzeburg. Schönberg 1934,
S. 27.)
1939/1 - 39
1939/1 - 40 Worten 'braun - bunt' gekennzeichnet
9). Es gab demnach
braune
und bunte Dörfer. War nun Römnitz ein braunes oder ein
buntes
Dorf? Die nächste Antwort gibt die Urkunde selbst; es
findet sich
unter den Eingesessenen ein Roland Varius, d. h. der
Bunte 10). Sein
Bruder Johannes wurde der Bonde Roland genannt. Er
mochte im
Wortspiel selbst betont haben, er sei kein Bunter,
sondern ein Bonde. Ein Bonde ist ein Eigentumsbauer oder
-kätner (im nördlichen Schleswig-Holstein). Da es auf der Römnitz solche nicht gab,
kann er sich
nur so genannt haben, weil er früher von
Schleswig-Holstein her eingewandert war. Beide Brüder
mit dem echten Siedlernamen
Ro(de)land waren also höchstens ein Menschenalter dort und
gehörten beide
zu den Bunten. Weiter wird Nikolaus der Nyebur genannt.
Seine
Familie muß sich also auch erst später als andere
angebaut haben,
gehörte nicht von Anfang an ins Dorf. Dann ist noch der
Steding
da, dessen Name seine Herkunft aus dem Land Stedingen
besagt; die
Familie wird zu den nach 1240 aus Oster-Stedingen
überall hin
verstreuten Flüchtlingen gehört haben. Diese vier Bunten
sehen wir
deutlich; sie haben sich natürlich nicht selbst so
genannt, sondern sie
haben ihren Namen von andern Bauern im Dorf, die sich
selbst als Braune bezeichnen. Vermutlich war das eine
Gruppe um den Bauermeister Konrad, und sie mochten die alten Siedler sein.
Römnitz war
also ein buntes Dorf, auf alle Fälle ein Dorf deutscher
Bauern. Ob die Slawen langsam verdrängt wurden und
dieser Umstand die stufenweise Wandlung in ein deutsches Dorf bedingte oder ob
Kriegesnot
das Dorf zum Teil verwüstet und eine teilweise
Neubesetzung nötig
gemacht hatte, wird man nicht sagen können. Doch sieht
es nicht danach aus, daß es jemals zu einer
geschlossenen Neugründung mit durchgreifender gleichmäßiger Einteilung der Flur gekommen
war, sonst
würde man auch eine andere Stelle der Flur als Dorfplatz
gewählt
haben. (Schluß folgt.)
_______________
9) Masch hält es ebenso für möglich, daß
die Unterscheidung in die Siedelungszeit zurückreiche. Er kennt aber die Bedeutung
eines 'Bonden' nicht, und
seine Andeutung (S. 147 Anm.) geht daher fehl.
10) Für Varius setze ich nicht, wie bisher immer
geschieht, 'der Aussätzige',
sondern 'der Bunte'. Die Aussätzigen wurden damals
LEPROSI genannt.
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